Wikinger der Liebe
gekühlt.« Sie unterbrach sich, musterte Krystas Miene, und ihr Lächeln erlosch. »Bitte, Mylady, Ihr müsst wirklich ein bisschen was essen.«
»Später«, versprach Krysta, weil sie die beiden nicht kränken wollte. Trotz allem schienen sie ihr die Freundschaft nicht aufzukündigen. »Nun will ich mich erst einmal ausruhen.«
Nachdem sie Krysta ermahnt hatten, gut auf sich aufzupassen, verließen sie zögernd das Zimmer. Die Tür wurde geschlossen, der eiserne Schlüssel klirrte, und sie glaubte Edvard seufzen zu hören, während er den Befehl seines Herrn ausführte.
Eine Zeit lang stand sie reglos mitten im Raum, konnte kaum atmen und versuchte zu begreifen, was geschehen war. Erst vor wenigen Stunden hatte sich die Jungfrau in eine Frau verwandelt. Und was war sie jetzt? Hawk bestand immer noch auf der Hochzeit. Doch sie wusste es besser. Wenn er darüber nachgedacht hatte, würde er erkennen, dass er nicht wagen durfte, ein Geschöpf von ihrer Sorte zu heiraten, was immer sie auch sein mochte. Nur zu gern würde er ihr den Rücken kehren.
Andererseits ist er ein eigenwilliger Mann, überlegte sie, und sein Stolz wurde verletzt. So leicht würde er sich nicht geschlagen geben.
Sie eilte zur Tür und drehte am Knauf, um ihre letzte Hoffnung zu begraben. Tatsächlich, sie war gefangen.
Dagegen rebellierte ihr Geist, wie die Flügel eines Vogels, die heftig an die Gitterstäbe eines Käfigs schlugen. Sie brauchte ihre Freiheit, musste den Wind und das Meer spüren, davonlaufen, in die Wellen springen, aus diesem Leben verschwinden - so wie ihre Mutter, die letzten Endes erkannt hatte, dass ihr keine Liebe vergönnt worden war. Mit schweren Schritten ging Krysta zu den Fenstern.
Rings um die runde Mauer des Turms reihten sich viele Fenster aneinander, und die meisten boten einen Ausblick aufs Meer. Edvard hatte alle Läden geschlossen. Jetzt öffnete sie ein paar und schaute hinaus. In der mondlosen Nacht schimmerte dunkles Wasser. Sie beugte sich hinaus und betrachtete die Sterne. Vor langer Zeit hatte der Vater ihr die Sternbilder erklärt, und sie wusste, wo man den Orion fand, den Großen und den Kleinen Bären. An dem Stern, der sich niemals bewegte und stets den Weg nach Norden wies, konnte sie sich orientieren. Weit oben im Norden lag ihre Heimat, die ihr nach Svens vernichtendem Urteil für immer verschlossen bleiben würde. Da er das Oberhaupt der Familie war, stand ihm das Recht zu, seine Halbschwester zu verstoßen. Dagegen würde niemand protestieren, was immer Hawk auch glauben mochte. Und die Mitgift? Würde Wolf Hakonson ihr dazu verhelfen? Doch das spielte keine Rolle. Von Sven gezwungen, musste sie sich mit dem Geheimnis ihrer Herkunft abfinden, das einen Schatten auf ihr Leben warf und das ihr verwehrte, die gleichen Träume und Hoffnungen zu hegen wie normale Frauen.
In ihrer engen Kehle stiegen Tränen auf. Der lange, ereignisreiche Tag hatte sie erschöpft. Ihrer Zofe zuliebe zwang sie sich, ein paar Bissen zu essen. Und weil sie den Eindruck erwecken wollte, sie hätte viel mehr zu sich genommen, warf sie Brotkrumen aus dem Fenster. Die würden am nächsten Morgen den Vögeln schmecken. Wo mochte Raven stecken? Kraftlos sank sie aufs Bett, an die Stelle, wo Hawk gelegen hatte. Und dann weinte sie sich in den Schlaf. Albträume verfolgten sie während der ganzen Nacht.
Am Morgen erschien Aelfgyth - mit unsicherem Lächeln, die Stirn besorgt gerunzelt - von einigen Mägden gefolgt, die Krysta frisches Wasser und ein Frühstück brachten. Und welch ein Wunder! Vorsichtig legte die Zofe ein paar schwere Bücher auf den Tisch. Die hatte sie selbst die Treppe heraufgeschleppt. Eine solche Kostbarkeit wollte sie den einfachen Dienstboten nicht anvertrauen.
Nachdem die anderen Mädchen hinausgegangen waren, nicht ohne neugierige, mitleidvolle Blicke in Krystas Richtung zu werfen, erklärte Aelfgyth: »Diese Bücher gab mir Seine Lordschaft, kurz bevor ich die Stufen erreichte. Vielleicht hätte Edvard den Auftrag übernehmen müssen. Nie hätte ich gedacht, ich würde jemals in meinem Leben ein Buch anrühren. Und weiß der Himmel, ich will’s auch nicht mehr wagen. Wenn ich eine Seite beschmutzt oder zerknittert hätte! Aber Lord Hawk drückte mir die Bücher einfach in die Hände und befahl mir, sie in Euer Zimmer zu befördern, Mylady.« Seufzend schüttelte sie den Kopf. »Der arme Mann sah gar nicht gut aus, und ich fürchte, er hat letzte Nacht kein Auge zugetan.« Aufmerksam
Weitere Kostenlose Bücher