Wikinger meiner Traeume - Roman
verlassen und die Tür leise hinter sich geschlossen hatte, saß sie eine Zeit lang auf der Bettkante. Das nahrhafte Essen spendete ihr neue Kraft, und sie hatte bereits länger geschlafen als üblich. Und so schaute sie sich wieder um. Dieser Raum faszinierte sie. Nie zuvor hatte sie ein Zimmer gesehen, das so deutlich den Einfluss einer Frau zeigte. In der Festung ihres Vaters gab es keine Spuren, die von weiblichem Geschmack zeugten. Falls sie jemals existiert hatten, waren sie mit dem Tod der Mutter verschwunden. Nach mehreren Fehlgeburten hatte die bleiche, schweigsame Frau im Kindbett den Tod gefunden, als Rycca acht Jahre alt gewesen war. Nichts hatte sie zurückgelassen – nichts außer einem Grab, nur von den Zwillingen regelmäßig besucht. Der Burg ihres Gemahls hatte sie keinen Stempel aufgedrückt, ebenso wenig wie andere Frauen. Dort verachtete man alles, was feminin wirkte, und hielt es für ein Zeichen von Schwäche.
Und hier wurde die Weiblichkeit nicht nur geduldet, sondern offensichtlich auch geachtet. Nachdenklich stand Rycca auf, ging zu den geschnitzten Truhen und hob den Deckel, unter dem sie die kostbaren Seifen gefunden hatte. Neben dem Tablett lag ein zusammengefaltetes Nachthemd.
Sie war immer nur nackt oder in rauer Wolle schlafen gegangen. Aber ein Hemd aus so feinem Leinen hatte sie noch nie gesehen. Impulsiv hob sie es hoch und roch daran. Der weiche Stoff duftete nach Sonnenschein und Rosen, und der Wunsch, etwas so Himmlisches zu tragen, überwältigte Rycca.
Als sie aus ihrer Tunika schlüpfen wollte, klopfte es an der Tür. Hastig legte sie das Nachthemd in die Truhe zurück. »Ja?«
Dragon betrat die Hütte, einen gefüllten ledernen Eimer in der Hand, den er auf den Tisch stellte. »Vielleicht braucht Ihr das. Vorsicht, das Wasser ist heiß. Wartet lieber, bis es etwas abkühlt.«
Verwundert nickte sie. Ein Krieger schöpfte Waschwasser aus einem Brunnen, erhitzte es, und er verwendete es nicht einmal für sich selbst, sondern brachte es einer Frau. Tatsächlich, sie musste in einer anderen Welt gelandet sein.
»Danke«, murmelte sie. Doch er war bereits hinausgegangen und schloss die Tür hinter sich.
Wenig später kroch sie unter die Bettdecken, von Kopf bis Fuß gewaschen, in dem feinen Leinenhemd. Trotz ihrer Erschöpfung hatte sie Ordnung gemacht. Jetzt lag sie auf einer weichen Matratze, unter federleichten Decken, und beobachtete, wie die sommerliche Abenddämmerung ins Dunkel der Nacht überging. Noch bevor sie einschlief, glaubte sie zu träumen.
Um Schlaf zu finden, brauchte Dragon viel länger. Auf einem Lager aus Kiefernnadeln ausgestreckt, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, betrachtete er die Sterne. Aus reiner Gewohnheit suchte er die einzelnen Konstellationen und erinnerte sich an die damit verbundenen Geschichten. Doch dann schweiften seine Gedanken zu der rätselhaften Frau. Sie trug die Kleider eines jungen Burschen aus vornehmem Haus. Dazu passten auch ihr herausforderndes Benehmen und ihr Selbstbewusstsein. Doch sie hatte nie zuvor edlen Wein getrunken. Und jede noch so kleine höfliche Geste schien sie zu überraschen. War das typisch für englische Damen? Oder bildete sie eine Ausnahme? Wie sollte er das herausfinden?
Schließlich schlummerte er ein, denn der Tag war lang gewesen.
Mitten in der Nacht fuhr er aus dem Schlaf hoch, von einem schrillen Schrei aufgeschreckt, der das leise Summen
sommerlicher Insekten unterbrach und einen streunenden Fuchs in seinen Bau zurückjagte. Sofort sprang Dragon auf und ergriff das Schwert, das neben ihm lag. Der Schrei war aus der Hütte gedrungen. Während er die Tür aufstieß, riss er die Klinge aus der Scheide. Wer immer hier eingedrungen war, würde innerhalb weniger Sekunden sein Leben aushauchen. Aber er sah nur die junge Frau. Keuchend saß sie auf dem Bett und starrte blicklos vor sich hin. Dann erschauerte sie, als versuchte sie die letzten Nebel ihres Schlafs zu verscheuchen – die Nachwirkungen eines bösen Traums.
Dragon ließ das Schwert fallen, setzte sich zu ihr und nahm sie in die Arme. Besänftigend wiegte er sie hin und her. »Alles ist gut, nichts wird Euch zustoßen. Hier seid Ihr in Sicherheit. Glaubt mir, Ihr habt nichts zu befürchten.«
Zitternd klammerte sie sich an ihn, presste den Kopf an seine Brust und schien Schutz vor der ganzen Welt zu suchen. Ein wildes Schluchzen erschütterte ihren Körper. Voller Sorge drückte er sie noch fester an sich. Hatte sie geträumt, sie
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