Wikinger meiner Traeume - Roman
würde mit einem dieser Männer schlafen, wenn auch unwissentlich... Die Erschöpfung drohte sie zu überwältigen. Doch der Tee wirkte belebend, und sie nahm noch einen Schluck.
»Was Euren Sturz von der Klippe betrifft«, begann Lady Krysta und raubte ihr die Hoffnung, sie hätte die Frage vergessen. »Wie schrecklich muss das gewesen sein! Wart Ihr auf dem Weg nach Hawkforte, als Ihr diesen Unfall erlitten habt?«
Langsam nickte Rycca. Selbst wenn sie die Kraft besessen hätte, die Wahrheit zu verheimlichen – sie sah keinen Sinn darin. Zweifellos würde Lord Dragon in allen Einzelheiten erzählen, was geschehen war. Keine Sekunde lang glaubte sie, er würde das Wort halten, das er ihrem Vater gegeben hatte, und sie tatsächlich heiraten. Obwohl jene Ankündigung ernsthaft und aufrichtig geklungen hatte... Nein, da musste sie sich irren. Wie konnte er sie zum Altar führen – nach allem, was geschehen war? Wahrscheinlich hatte er sie nur nach
Hawkforte gebracht, um sie zu bestrafen, mochte die sanfte Fürsorge, die sie jetzt genoss, auch nicht zu dieser Absicht passen. Nun, diese freundliche Betreuung würde sicher bald ein Ende finden, wenn es an der Tür klopfte und ein Krieger hereinstürmte, womöglich sogar Lord Hawk. Bei dieser Vision erschauerte sie. O Gott, was würde Lady Krysta empfinden, wenn sie erfuhr, wem sie so viel gütige Aufmerksamkeit geschenkt hatte?
»Sicher gehört das Nachthemd Euch, das ich in der Jagdhütte fand«, sagte sie unvermittelt. Ihr müdes Gehirn sprang von einem Gedanken zum anderen. »Das lieh ich mir aus, und dafür muss ich Euch um Verzeihung bitten. Ich weiß, es war falsch. Aber ich hatte noch nie etwas so Schönes gesehen.«
Verwundert schüttelte Krysta den Kopf. »Deshalb müsst Ihr Euch wirklich nicht sorgen. Wann seid Ihr von der Klippe gestürzt?«
»Vor ein paar Tagen.« Aus Ryccas Kehle rang sich ein leises Schluchzen. »Vor einer halben Ewigkeit...«
Inzwischen war Krysta ziemlich beunruhigt. Sie wusste, welche Folgen eine Kopfverletzung nach sich ziehen konnte. Dass Dragon für den Zustand des Mädchens verantwortlich wäre, vermutete sie keine Sekunde lang, denn er begegnete allen Frauen stets freundlich und rücksichtsvoll. Aber irgendetwas Grauenhaftes musste geschehen sein, und das wollte sie herausfinden. »War Euch nach dem Sturz schwindlig? Seit Ihr in Ohnmacht gefallen? Oder lässt Euch das Gedächtnis im Stich?«
Rycca lächelte schwach. »Ja, so lautet die Antwort auf alle drei Fragen. Mir schwindelte, ich verlor das Bewusstsein, und ich vergaß alles, was mir die Stimme der Vernunft zuflüsterte. Allerdings nicht in dem Sinn, auf den Ihr anspielt, Lady Krysta. Erstaunlicherweise nahm ich nur geringen körperlichen Schaden.«
Mit dieser Erklärung beruhigte sie Krysta nicht sonderlich. Vorsichtig strich sie über die Wange des Mädchens. Diese Verletzung sah frischer aus. Doch sie war sich nicht sicher. »Geschah das um dieselbe Zeit?«
»Nein, heute – mein Bruder schlug mich.«
Seufzend schnitt Krysta eine Grimasse. Von den Wolscrofts hatte sie immer nur Schlechtes gehört. »Tut mir Leid. Aber dieser Bluterguss wird bald verblassen. Jetzt braucht Ihr ein warmes Bad und eine herzhafte Mahlzeit – und nach einem erholsamen nächtlichen Schlaf werdet Ihr Euch morgen viel besser fühlen.«
»Wo ist Euer Mann?«
»Ich nehme an, er spricht mit Dragon. Warum fragt Ihr?«
»Dann wird Lord Hawk bald hierher kommen – und sich gewiss nicht über die freundliche Fürsorge freuen, die Ihr mir vergönnt, Lady Krysta.«
»Doch, natürlich. Warum zweifelt Ihr daran?«
Rycca holte tief Atem und suchte vergeblich, Mut zu fassen. Trotzdem antwortete sie: »Weil ich Lord Dragon nicht heiraten wollte, rannte ich davon. Wie es das Schicksal wollte, kreuzten sich unsere Pfade. Ich floh, und er verfolgte mich. Dabei fiel ich über den Klippenrand. Er trug mich in Eure Hütte, wo wir ein paar Tage verbrachten...«
Sekundenlang senkte sie die Lider, dann begegnete sie Krystas sanftem Blick. Nur die Herzenswärme in den waldgrünen Augen bewog sie weiterzusprechen – und das verzweifelte Bedürfnis, jemand würde verstehen, was sie getan hatte, warum sie dazu getrieben worden war.
»Wer er ist, wusste ich nicht. Auch er kannte mich nicht. Doch ich – wünschte mir eine Erinnerung, etwas Schönes, Wunderbares, an das ich mich in der ungewissen Zukunft klammern könnte. Was zwischen uns geschah, ist einzig und allein meine Schuld. Und ich bereue es nicht
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