Wikingerfeuer
wie es bei den Nordleuten genannt wurde. Den Gesprächen der Mannschaft hatte Rouwen entnommen, dass die Heimatinsel dieser Leute Yotur hieß. Ebenso das Dorf, das sie dort bewohnten. Sie hatten schon einige Inseln hinter sich gelassen, als eine Flaute kam und dichter Nebel das Schiff verschluckte. Rouwen konnte kaum noch den Bug des Schiffes sehen, doch die Männer ruderten völlig unbesorgt weiter. Bald schälten sich aus der weißen Nebelwand die Umrisse eines Kliffs. Ein Fjord schnitt tief in die gewaltige Felswand. Das Schiff glitt hinein. Eine eigenartige Stille herrschte hier, und das Plätschern des Wassers, wenn die Ruder eintauchten, wirkte ungewohnt laut.
Es war, als glitte das Drachenschiff hinüber in eine andere Welt. In die der Geschichten über Götter, Riesen, Zwerge und Feen.
Plötzlicher Regen riss die Nebelwand auf. Rouwen konnte hören, wie einige Männer zufrieden seufzten. Ein großartiger Anblick offenbarte sich ihm: Die schroffen Felsen wichen einer sattgrünen Ebene, in die das dunkelblaue Wasser wie eine Speerspitze schnitt. Auf der ruhigen Wasserfläche spiegelte sich ein Dorf. »Yotur!«, rief ein Hüne, und einige hoben ihre kleinen hammerförmigen Amulette und küssten sie dankbar.
Ein Langhaus mit einem geschnitzten Adler am Dachfirst überragte die niedrigen Hütten mit ihren mit Heidekraut überwachsenen Dächern. Dahinter erstreckten sich, sanft ansteigend, Wiesen und Weiden. Abseits erhob sich – Rouwen wollte seinen Augen nicht trauen – eine Kirche.
Dicht an einer steinernen Mole reihten sich Fischerboote aneinander, und in Gattern zwischen den Häusern drängelten sich Ziegen und Gänse. Ein Hund rannte ans Ende der Mole und bellte aus Leibeskräften das herannahende Schiff an. Nun sahen auch die Nordleute auf; Frauen kamen aus den Häusern und trockneten die Hände an den Schürzen, alte Männer legten die Fischernetze nieder, an denen sie gearbeitet hatten, und Kinder rannten aufgeregt umher.
Das Schiff legte kurz darauf an. Baldvin, der ein poliertes Schuppenwams und etliche goldene und silberne Reife an den Armen trug, schritt über die ausgelegte Laufplanke. Eine junge, pummlige Frau stand an der Spitze der Mole, neben sich den freudig bellenden Hund, und hob mit beiden Händen ein mächtiges Trinkhorn. Ihr Lächeln war zurückhaltend, doch erfreut. Rouwen sah noch, dass Baldvin das Horn ergriff, dann versperrten seine Krieger die Sicht.
Yngvarr schnitt ihn los, und sofort umringten ihn drei Männer mit ihren Waffen. Langsam erhob sich Rouwen. Nur kurz gab man ihm Gelegenheit, die von der Kälte steifen Glieder zu lockern; dann band man ihm die Hände im Rücken. Dieses Mal legte ihm Yngvarr zusätzlich ein Lederband um den Hals. Das Ende der daran hängenden Schnur wickelte sich der Wikinger um die linke Hand. Die rechte lag drohend um seinen Schwertgriff.
»Willkommen in Yotur«, sagte er mit einem eiskalten Lächeln.
War es Zufall, dass sich in diesem Augenblick die Kriegerin näherte, um an ihm vorbei zur Laufplanke zu gehen? Rouwen fing ihren Blick auf.
Sie war wie eine Distel. Stachlig, unbeugsam, stolz. Doch sie hatte ihm während der Fahrt zu trinken geben wollen. Sie war die einzige Hoffnung, dass seine Bitte erhört wurde.
»Ma dame.«
Rúna stutzte und starrte ihn an.
Er holte tief Luft und ballte im Rücken die Fäuste, um sich dazu zu zwingen, einen sanften Ton anzuschlagen. »Ma dame, lasst mich mit dem Dorfgeistlichen sprechen. Ich bitte Euch darum.«
Sichtlich verblüfft runzelte sie die Stirn. Da schlug ihm Yngvarr gegen die Schulter. Sein Lachen klang schmerzhaft laut in Rouwens Ohren.
»Ein Dorfgeistlicher, haha! Sverri, Hallvardr, habt ihr das gehört? Er will den Dorfgeistlichen sehen!« Genüsslich betonte er das Wort, und die Männer, die Rouwen umringten, lachten. Rúna senkte die Augen; dann trat sie an ihm vorbei und machte einen langen Schritt hinauf auf die Planke. Der junge Arien folgte ihr dichtauf, danach schleppten zwei andere Rouwens Truhe an Land, und letztlich musste auch er folgen. Das Geschnatter der Dorfleute verstummte, als er über die Planke ging und auf der Mole stehen blieb. Er straffte sich. Sein Blick glitt zu der kleinen Stabkirche.
»Ma dame …«, sprach er Rúna noch einmal an, die stehen geblieben war, um einige Dorfleute zu begrüßen.
Sie funkelte ihn an.
Siehe, du bist schön, deine Augen sind wie Tauben … Bei allen Heiligen, wie konnte ihm jetzt ein Vers aus Salomons Hohelied in den Sinn kommen?
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