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Wikingerfeuer

Wikingerfeuer

Titel: Wikingerfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shirley Waters
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die Hände gespreizt, stand der Engländer vor den Tischen an der rechten Seite. Er trug noch immer die dunkelbraune Lederhose, nicht aber die zerrissene Tunika. Das Licht der vielen Fackeln und Kerzen spiegelte sich auf seinem schweißfeuchten Oberkörper. Auf der anderen Seite hockte Haakon Steinriese, den Hinterkopf an die Kante einer Tischplatte gelehnt. Bei ihm kniete Sverri und drückte ein Tuch auf dessen linke Gesichtshälfte. Es war blutig.
    Rúna musste vor Schreck die Luft anhalten. Haakon war der größte und muskelbepackteste Mann, den sie je gesehen hatte. Sein Großvater sei tatsächlich ein Riese gewesen, erzählte man sich. Und man konnte es mühelos glauben. Dass er von einem anderen gefällt werden konnte – unfassbar.
    »Wer will als Nächstes?«, rief Baldvin. Er stand vor seinem Thronstuhl, die Hände in den Seiten.
    Der Blick des Engländers glitt abschätzend über die Männer. Hatte man ihm gesagt, dass dieser Schaukampf so lange währen würde, bis alle Anwesenden besiegt waren oder er selbst am Boden lag? Der Vater hatte Rúna erzählt, dass sich in seiner Jugendzeit ein solcher Kampf drei Tage hingestreckt habe, weil der Gefangene so zäh gewesen war. Ein Nachkomme der Pikten sei das gewesen, mehr ein Wolf als ein Mensch. In diesem Augenblick glaubte Rúna, dass sich diese Geschichte wahrhaftig wiederholen könne. In den hellen Bernsteinaugen des Engländers loderte tierische Wut.
    »Yngvarr!«, rief jemand plötzlich.
    Begeistert nahm die Menge den Ruf auf. »Yngvarr, Yngvarr!«, skandierten sie. Ihre Hände schlugen im Rhythmus dazu. Dann mischten sich noch andere Namen darunter, und bald war ein heißes Wortgefecht im Gange. Yngvarr schwieg dazu, lächelte nur in sich hinein. Doch Rúna entging nicht, dass er krampfhaft vermied, in Haakons Richtung zu schielen.
    Sie beschloss, dem weiteren Verlauf nicht zuzusehen, und wollte kehrtmachen. Da hob Baldvin die Hand. Sofort wurde es still.
    »Der Fremde ist stark und wendig«, nickte er anerkennend in Rouwens Richtung. »Stígr soll entscheiden, wer gegen ihn antreten soll.«
    Ein Raunen ging durch die Leute. Der Dorfzauberer trat an die Seite seines Häuptlings. Langsam löste Stígr den Beutel von seinem Gürtel, schnürte ihn auf und entnahm seine Runenstäbe. Dabei ruckte sein hässlicher Kopf, der an verschrumpeltes Leder denken ließ, hin und her. Er hatte große Augen, die er gen Himmel rollte. Aus seinem zahnlosen Mund kam ein langgezogenes Krächzen.
    »Was das alte Huhn wieder für ein Gewese macht«, hörte Rúna Arien hinter sich flüstern. »Bis er die Runenstäbe wirft, feiern wir wieder Jul.«
    »Sei nicht so respektlos«, zischte sie. »Du solltest ins Bett! Am besten, ich bringe dich selbst hinauf.«
    Sie drehte sich um und schob den murrenden Jungen zurück in den Windfang. Am Fuß der Treppe machte er sich von ihr los.
    »Unser Vater nimmt mich mit auf deine Wikingfahrt, und du willst mich ins Bett stecken, als wäre ich noch ein Kind!«
    »Pah! War das denn eine Wikingfahrt? Nein. Also mach, dass du hinaufkommst.«
    »Es hätte eine werden sollen, das weißt du ganz genau.«
    »Und du solltest wissen, dass du mich besser nicht daran erinnerst. Außerdem dachte ich, du willst gar kein Krieger werden? Sondern ein Heilkundiger?«
    »Deshalb wollte ich mir ja Haakons Verletzung ansehen.«
    »Ach wirklich?«
    »Ja, wirklich!«
    Er stand auf der untersten Stufe und blickte ihr ins Gesicht. So ein dreister Lügner! Ganz bestimmt hatte er sich diese Begründung eben erst aus den Fingern gesogen. Er mühte sich, zornig dreinzuschauen, und fast hätte sie aufgelacht. Arien! , dachte sie, von Zuneigung überflutet. Du wirst einmal ein hinreißender Mann sein. Aber jetzt …
    Ein markerschütternder Schrei ließ sie zusammenfahren.
    »Stígr, du bist ja nicht ganz bei Trost!« Es war Baldvin, der brüllte, dass man glauben mochte, die Pfeiler des Hauses bebten. »Wirf die Stäbe noch einmal!«
    »Die Götter haben gesprochen, Herr. Die Stäbe sagen, dass dieser Kampf das Leben deiner Tochter beeinflussen wird. Und zwar nicht zum Schlechten.«
    »Nicht zu fassen … Rúna, komm her!« Die Stimme ihres Vaters donnerte durch das ganze Haus.
    Verwirrt kehrte sie in die Halle zurück. Die Menschen machten ihr Platz, bis sie in das frei gelassene Rund in der Mitte trat. In Stígrs Beutel verschwanden soeben die Stäbe, und er trat in den rauchgeschwängerten Hintergrund zurück. Sonst hatte sich nichts verändert: Noch immer kauerte

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