Wikingerfeuer
sich die trockenen Lippen zu lecken. Sie schmerzten, als seien sie rissig. Hinter seiner Stirn pochte es, als stünde einer der Wikinger neben ihm und schlüge mit einer Streitaxt gegen den eisenbeschlagenen Rand seines Schildes.
Yngvarr kam gerade wieder heran. Der Krieger baute sich vor ihm auf und schlug ihm ins Gesicht. Rouwen schmeckte Blut. Er vermochte nicht zu sagen, ob es schon das dritte oder vierte Mal war, dass der Wikinger das tat.
»Rede endlich, du englischer Hund! Wo kommst du her? Wie heißt deine Familie? Sprich!«
Anfangs hatte Rouwen mit Kopfschütteln oder einem klaren und deutlichen »Nein« geantwortet. Aber das wurde zusehends mühseliger, also schwieg er.
Die Yoturer gingen unterdessen ihren alltäglichen Arbeiten nach. Sie störten sich nicht daran, dass am Haus des Häuptlings jemand angebunden war – dergleichen kam offenbar öfter vor, und am zweiten Tag wurde tatsächlich eine Frau an der anderen Ecke festgesetzt. Sie hat ihrem Mann Hörner aufgesetzt, hörte er jemanden sagen. Man band sie bereits nach wenigen Stunden wieder los. Den Mann, der sie abholte, wahrscheinlich ihr eigener, empfing sie mit einer saftigen Ohrfeige. Rouwen fragte sich, ob es umgekehrt nicht passender gewesen wäre.
Aber bei den Norwegern war eben so manches anders; davon hatte er bereits früher gehört. Die Existenz eines weiblichen Schwertkämpfers war das beste Beispiel.
Er überlegte, um Wasser zu bitten. Es gab Momente, da erwog er, darum zu flehen. Ihm war entsetzlich übel, die Kopfschmerzen wurden immer unerträglicher, und ihm wurde immer öfter schwarz vor Augen. Das hatte er schon einmal erlebt – Hattin. Damals hatte er sich geschworen, keinen Sarazenen anzuflehen, sollte man ihn gefangen nehmen. Ob Gott seine Entschlusskraft im Nachhinein prüfen wollte?
Wie aus dem Nichts tauchte eine Frau über ihm auf. Ihr Gesicht schien zu flackern. Ihre Sommersprossen tanzten. Die gelösten Locken ihres zurückgekämmten Haares waren wie kleine lebendige Schlangen. Er schüttelte verwirrt den Kopf. Hatte nicht eben noch Yngvarr über ihm gestanden? Er schrie auf, als sie seinen Schopf packte, um seinen schmerzenden Schädel nach hinten zu drücken.
Ein Augenpaar blickte auf ihn herab, das die Farbe eines sonnenbeschienenen Meeres hatte. Er versuchte sich auf den Namen der schönen Schwertkämpferin zu besinnen.
… Wirbelwind .
»Du wirst nie reden«, murmelte sie. Es klang bedauernd.
Der Wirbelwind drückte etwas an seine Lippen. Erneut wollte er schreien – sie anschreien, weil ihm jede Berührung wie ein grober Schlag vorkam. Sogar das Wasser, das plötzlich in seinen trockenen Mund rann, tat weh.
»Ich danke dir, Sverri«, sagte Rúna. Der großgewachsene Krieger richtete sich auf, nachdem er den Engländer wie einen Sack Getreide auf Stígrs Pritsche geworfen hatte. Ihm hatte Rouwens Gewicht nicht das Geringste ausgemacht. Er zog eine Lederschnur aus seinem Hosenbund, die er vorsorglich mitgebracht hatte, und band dem Bewusstlosen die Hände im Rücken zusammen.
»Jetzt kann er dir nichts mehr tun, Herrin. Diese Lederschnur zerreißt nicht einmal ein Wolf.« Eine Hand zum Gruß erhoben, verließ er die Hütte.
Rúna sah ihm ärgerlich hinterher. Glaubte Sverri wirklich, der Engländer könne ihr in seinem Zustand gefährlich werden? Gut, er war ihr körperlich überlegen. Das ließ sich ja schwerlich leugnen. Aber er war geschwächt, und sie war kein Dummkopf, der sich einfach übertölpeln ließ.
Diese Wikingfahrt wäre so wichtig gewesen, um sich endlich als Kriegerin zu beweisen! Die Männer respektierten sie, ja; trotzdem gab es hier und da Zweifel, ob eine Frau den Clan führen könne, sollte Baldvin irgendwann zu alt sein.
Ihr Götter! Wie lang war ihr dieser Winter vorgekommen! Eigentlich hätte sie schon letztes Jahr fahren sollen, doch Baldvin hatte sich während einer Fahrt verletzt. Nicht einmal im Kampf – während eines Sturms war die Schot des Rahsegels gerissen und hatte ihn so unglücklich an der rechten Hand getroffen, dass er sie lange nicht hatte gebrauchen können. So hatte er ihre erste Wikingfahrt auf dieses Frühjahr verschoben, obwohl sie kurz nach seiner Rückkehr achtzehn Jahre alt geworden war – als sie noch ein Kind gewesen war, hatte er ihr versprochen, in diesem Alter fahren zu dürfen. Und wie spät war in diesem Frühjahr das gute Wetter gekommen … Jetzt schneite es sogar wieder, dabei waren die Winter auf Yotur doch eher nass. Und dann der Engländer
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