Wikingerfeuer
gehüllte Frau aus dem Haus kam. Sie ging mit seltsam trippelnden Schritten.
Sie blieb stehen, schlug die Kapuze zurück und atmete tief ein, ohne Rouwen oder Arien zu bemerken. Ihre tiefbraunen Flechten, die ihr offen um die Schultern fielen, passten so gar nicht zu den helleren der Frauen hier, zumal diese ihre Haarpracht geflochten trugen. Er sah nur ihr Profil, aber es war vollkommen: eine kleine Nase, die leicht zum Himmel wies, volle Lippen und wohlgerundete Brauen. Im beginnenden Tageslicht konnte er sehen, dass ihre Wangen gerötet waren.
»Ich möchte mir die Beine vertreten«, sagte sie zu der gedrungenen älteren Frau, die an ihrer Seite herausgekommen war.
»Ist gut, ich sage Bescheid.«
Rouwen blieb vor Überraschung der Mund offen stehen. Sie hatten Gälisch gesprochen.
Die Alte stapfte ins Haus zurück und kehrte sogleich mit einem der Krieger zurück. Staunend sah Rouwen zu, wie er neben dieser Schönheit in die Knie ging und den Saum ihres Mantels und sogar den des Kleides darunter hob. Peinlich berührt starrte sie in die Ferne.
Er schloss eine gepolsterte Fußkette auf. Kaum hatte er sie abgestreift, marschierte sie ungelenk los. Die dicke Frau watschelte an ihrer Seite, und der Yoturer folgte in drei Schritten Abstand, wohl um aufzupassen, dass die beiden nicht wegliefen.
»Arien, wer ist sie? Eine Gefangene?«
»Das ist Lady Athelna. Sie ist von …«
Arien sprang hoch, als eine weitere Frau aus der Halle trat. Es war Rúna. Anders als Athelna sah sie sich um und entdeckte ihren Bruder sofort.
»Plaudert ihr wieder schön?« Die spitze Frage galt allein Arien; Rouwen sah sich von ihr missachtet. »Hinein mit dir, Adlerjungchen.«
Unwillkürlich wanderte sein Blick an ihr abwärts. Sie hatte einen kurzen Umhang um sich geschlungen. Darunter trug sie lederne Beinkleider und – tatsächlich – nach wie vor nichts an den Füßen. Leider auch nicht die Zehenringe, die er so interessant und sündhaft fand.
»Ich hasse es, wenn du mich so nennst.« Arien setzte eine finstere Miene auf. Ein neuerlicher Hustenanfall machte seinen Versuch zunichte, selbstsicher wie ein Mann aufzutreten. Missmutig schlurfte er zu ihr, und als er an ihr vorbei war, gab sie ihm einen sanften Stoß in den Nacken. Rouwen lag die Frage auf der Zunge, ob diese Art der schwesterlichen Liebesbezeigung typisch für eine Wikingerfrau war. Die Vernunft zwang ihn jedoch, diese Respektlosigkeit herunterzuschlucken. Als sie wieder ins Haus ging, konnte er nicht anders, als ihr nachzusehen, den Anblick ihres geschmeidigen Rückens, der schlanken Beine und der bloßen Fersen aufzusaugen. Diese Frau verursachte etwas in ihm, das er nicht wollte. Etwas, das machtvoller und gefährlicher war als ein Kampf mit Haakon Steinriese.
Rúna liebte die kurze Zeit vor dem Schlafengehen, wenn sie, Arien und ihr Vater beieinander saßen. Das Abendmahl, das er mit seinen besten Kriegern einzunehmen pflegte, war von den Küchendienerinnen bereits abgeräumt worden. Bier schäumte aus seinem silberbeschlagenen Trinkhorn. Er hob es und schüttete die Hälfte in eine Schale.
»Für Allvater Odin«, sagte er feierlich.
»Für Freya«, Rúna goss einen Teil ihres Becherinhalts, mit Nelken und Honig gewürzten Wein, dazu, um die kriegerische Göttin der Jagd zu ehren.
»Für Hödur.« Arien leerte seinen Weinbecher über der Schale. Der blinde Hödur war sein Lieblingsgott, da er ins Innerste eines Menschen schaute, nicht jedoch darauf, ob er äußerlich etwas hermachte.
Der Vater trank sein Horn aus und wischte sich mit dem Handrücken über den bärtigen Mund. Er nahm den Faden des Gesprächs wieder auf: Bald sollte das Vieh auf die höher gelegenen saftigen Weiden geführt werden. Einige Winterschäden an den Häusern mussten noch ausgebessert werden. Der neue Adler, den er über den Winter geschnitzt hatte, musste auf den Giebel gesetzt werden.
»… und die Windjägerin muss neu kalfatert werden. Ich verspreche dir, du wirst diesen Sommer zu deiner Wikingfahrt kommen.«
Er schnippte mit den Fingern und deutete auf eine der Truhen an den Wänden rings um den großen Bohlentisch. Seine füllige, noch junge Zweitfrau Júta, die nach dem Tod von Rúnas Mutter zur Schlüsselträgerin aufgestiegen war, eilte sich, die Truhe zu öffnen. Sie brachte einen länglichen, in Leinen verschnürten Gegenstand und zog sich still zurück.
Was er aus dem Tuch schälte, war ein Dolch seltsamer Machart.
»Tochter, ich schwöre es dir bei diesem
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