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Wild (German Edition)

Wild (German Edition)

Titel: Wild (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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diejenige, die dafür sorgte, dass es immer Brot gab. Wenn kein wildes Getreide in der Nähe des Lagers wuchs, verarbeitete sie die Rinde bestimmter Bäume zu Mehl oder behalf sich mit Bucheckern oder den Samen wilder Gräser. Sie hatte mir erzählt, dass sie manchmal sogar Felder anlegte, in der Hoffnung, dass sie weder den Jägern auffielen noch von anderen Gruppen geplündert wurden.
    »Gabriel will mir heute das Schießen beibringen«, sagte Orion. »Ich konnte ihn davon überzeugen, dass ich auch ein paar Gänse vom Himmel holen kann, wenn sie bald in Schwärmen in den Süden fliegen. Meinem Bein ist es egal, ob ich in einem Versteck hocke und warte.«
    Es war mir ein Rätsel, wie er sich so einfach in diese Gemeinschaft einfügen konnte. Die Leute hier hätten Grund gehabt, ihn zu hassen, denn er hatte den verhängnisvollen Ortungschip eingeschleust. Doch sie liebten ihn, weil er Alfred, der bei der Explosion des Lagers von herumfliegenden Trümmerteilen und Splittern getroffen worden war, hergeschleppt hatte. Weil er zu jedem freundlich war, mit allen redete, und ich war mir ziemlich sicher, dass er jeden im Lager mit Namen kannte, während ich mich immer noch schwer tat, selbst die Leute auseinanderzuhalten, die ich täglich beim Mittagessen traf.
    Das sind jetzt unsere Leute, sagte Lucky. Sein warmer Atem blies mir ins Ohr. Manchmal, wenn ich sein Gesicht vor mir sah, löste es sich langsam auf wie Frühnebel, wenn die Sonne höher steigt, und ich hätte nicht sagen können, welche Augenfarbe er hatte oder wie seine Nase geformt war. Ich konnte nie verhindern, dass er verschwand.
    »Gänsebraten soll gut schmecken, habe ich mir sagen lassen«, meinte Orion. »Die Sonnenschüssel ist nicht heiß genug, um den Vogel im Ganzen durchzugaren, deshalb muss man ihn zerteilen. Aber Lumina hat noch ein paar Tricks auf Lager. Eine Glut in einem Erdloch. Gibt gar keinen Rauch, man muss nur aufpassen, dass die Belüftung funktioniert. Dann ist die Gans nach drei, vier Stunden gar. Und das Beste ist, man kann mehrere Gänse auf einmal in der Grube zubereiten!«
    »Ah«, sagte ich, »klingt gut.«
    Mein Magen war ganz wild auf Fleisch. Mein Magen war ja sogar bereit, Pilze zu essen und merkwürdige scharfe Wurzeln und herbe Blätter. Ihn störten keine Sorgen, dass man davon krank werden könnte. Er wollte nur immer mehr. Ich lebte mit einem ganz üblen Verräter zusammen, der stärker war als jedes kluge Argument.
    »Ich muss zu Gabriel, kommst du nun mit oder nicht?«
    Orion hatte gerade sein Gewicht auf den Krücken verteilt, als Paulus aus dem Wald kam und auf uns zumarschierte. Er ging schnell, und schon von weitem konnte man an seinem Gesicht sehen, dass etwas nicht stimmte.
    »Was ist denn mit dem los?«, fragte ich.
    »Hoffentlich kein Überfall«, meinte Orion. »Wenn ich jetzt fliehen muss, kann ich mit meinem Bein wieder von vorne anfangen.«
    Aber es ging nicht um die Jäger. Paulus baute sich vor uns auf, und obwohl er ein ganzes Stück kleiner war als Orion, fand ich ihn ziemlich einschüchternd. Das Medaillon um seinen Hals fing die Sonne ein und blendete mich, dieses Medaillon, das für die Menschen hier wie ein Lied war, ein Traum von einer neuen Welt.
    »Du wirst nicht lernen, wie man schießt«, sagte er sofort.
    »Wie bitte?«, fragte Orion. »Aber …«
    »Kein Aber. Ich weiß, dass ein paar Männer dich gefragt haben und dass du Interesse gezeigt hast. Aber sie hätten dich gar nicht fragen dürfen, ohne vorher mit mir zu sprechen. Hör mir zu.« Er sprach überdeutlich, als hätte er es mit einem störrischen Kind zu tun. »Du lernst es nicht. Du wirst nicht einmal ein Gewehr oder eine Armbrust in die Hand nehmen. Ist das klar?«
    Ich war so verblüfft, dass mir gar nichts dazu einfiel, aber Orion blieb wie immer äußerlich völlig gelassen. Nur seine Hände verkrampften sich um die Krücken, und daran erkannte ich das Ausmaß seines Zorns.
    »Darf ich auch erfahren, warum?«, fragte er.
    »Weil ich es so will«, gab Paulus zurück. »Ich habe mich bereit erklärt, dich bei den Damhirschen aufzunehmen, obwohl wahrlich genug dagegengesprochen hat. Um euer kleines Glück nicht zu zerstören.« Wie verächtlich das klang, wie ironisch. »Und um Alfred einen Gehilfen zu verschaffen. Du wirst dieser Gehilfe sein. Alles andere braucht dich nicht zu kümmern. Falls du dich über dieses Verbot hinwegsetzt, werde ich dich verbannen. Du wirst zu keiner anderen Gruppe kommen, in der ich etwas zu sagen habe,

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