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Wild (German Edition)

Wild (German Edition)

Titel: Wild (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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gekommen, an dem Orion sich davonschleichen musste, um Gabriel und Jakob beizustehen. Er zögerte kurz und sah mich an.
    Wir beide wussten, dass ich ihm folgen würde. Und er konnte das nicht verhindern, er konnte höchstens …
    Ich warf mich flach auf den Boden, gerade als er die Faust hob. Diesmal war ich schneller als er. Ich kroch unter den Ästen hervor, er erwischte mich am Knöchel, doch ich strampelte mich frei. Er durfte es nicht riskieren, Lärm zu machen. Auch wenn er sich darauf verlassen konnte, dass ich nicht schreien würde, würde ein Kampf doch die Jäger auf den Plan rufen. Also setzte er mir nicht nach, und ich huschte von Baum zu Baum. Offenbar hatte er sich damit abgefunden, dass er mich nicht stoppen konnte, aber ich ließ mich nicht täuschen. Ich musste vorsichtig bleiben, denn wenn ich Pech hatte, würde ich demnächst mit schmerzendem Schädel erwachen, während Gabriel längst ohne mich fort war und alle anderen tot auf dem Waldboden lagen.
    In Neustadt würde es mich nicht kümmern. Ich würde nicht ständig an Orion denken. Oder an Gabriel. Nicht an Benni und Jeska, die jederzeit sterben konnten. Gar nichts würde mehr wichtig sein.
    Lucky. Ich würde nur noch an Lucky denken.
    Der Hubschrauber schwebte über der Lichtung. Er machte einen Lärm, der jedes Rascheln und Knacken übertönte. Zum ersten Mal seit langem konnte ich mich nicht mehr auf meine Ohren verlassen, sondern nur auf meine Augen. Ein kaltes Kribbeln lief mir den Nacken hinunter.
    Die Jäger, die die Toten einsammeln sollten, mussten bereits im Wald sein. Doch den Hubschrauber hatten sie garantiert nicht schutzlos zurückgelassen. Eine Bewegung im Gebüsch verriet mir, wo Gabriel und Jakob sich befanden. Mein Herz begann wild zu klopfen. Würde ich mich wirklich trauen, ihnen über die offene Fläche nachzulaufen und mit einzusteigen?
    Gerade als sich unsere Freunde aus der Deckung hervorwagten, stieg der Helikopter wieder auf. Er war schwarz und schlank und glänzte wie eine frisch geputzte Krähe oder der schimmernde Panzer eines großen Käfers.
    »Verdammt«, knurrte Orion hinter mir. »Sie warten über den Wipfeln, bis sie gerufen werden. Das war’s mit unserem Plan. Und mit deinem auch.«
    Ich antwortete nicht. Er wartete ja doch nur auf die Gelegenheit, mir eins überzubraten, also duckte ich mich und rannte davon, zurück in den Wald, zurück zu unserem Lagerplatz am See.
    Es war still. Das Dröhnen der Rotorblätter ließ den Boden vibrieren und die Bäume erzittern, doch unter dieser gleichmäßigen Schicht Lärm war es ruhig. Zu ruhig.
    Ich hatte keine Ahnung, wo die anderen waren, wo sich die Jäger befanden. Sie waren nicht hier, um zu jagen, sondern um ihre Freunde abzuholen; mittlerweile hatten sie sie sicherlich schon gefunden. Dorthin musste ich.
    Jeder Schritt von Baum zu Baum kostete mich Überwindung. Zweige knackten unter meinen Füßen, Blätter raschelten, wo ich hindurchkroch. Gleichzeitig lauschte ich auf alles um mich herum, auf jedes Geräusch, das die Standorte der anderen verriet. Würde Gabriel aufgeben, weil es nicht so lief wie geplant? Wohl kaum. Mittlerweile kannte ich ihn gut genug, um das zu beurteilen. Nein, er würde nicht lockerlassen, und der heutige Tag würde entweder mit einem triumphalen Sieg oder in einer Katastrophe enden.
    Ein Schuss krachte ganz in der Nähe, jemand schrie. Dann die Donnerschläge weiterer Schüsse.
    Es hatte schon angefangen. Meine Angst brüllte mir ins Ohr, dass ich in die falsche Richtung lief, doch eine weitere Angst gesellte sich dazu. Wen hat es getroffen? Gabriel? Orion? Wen?
    Ich stolperte vorwärts, gerade rechtzeitig, um eine schwarzgekleidete Gestalt zu sehen, die durchs Gebüsch brach. Jemand lag am Boden. Jakob.
    Neben ihm kniete Orion, er sprang auf, als er mich sah. »Den kralle ich mir«, sagte er, »bleib bei ihm.« Und damit setzte er dem Jäger nach.
    Ich kniete mich neben Jakob hin, der mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Rücken lag. Seine Hände zitterten, er atmete schwer. Auf seiner Brust breitete sich ein Fleck aus, ein dunkler See.
    »Hilf Orion«, flüsterte er.
    Ja, Orion war in Gefahr. Das war viel wichtiger. Ich richtete mich wieder auf, schlängelte mich durch die Sträucher, die sich an mich hefteten, die mich an Armen und Beinen festhielten. Wir mussten die Aktion abbrechen, sofort. Wofür sollte Orion sterben, wenn Jakob den Hubschrauber doch nicht mehr fliegen konnte? Wozu sollte Gabriel kämpfen und töten, wenn wir

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