Wild (German Edition)
Lager zum nächsten bewegt. Heute konnte ich niemanden retten außer mich selbst.
Wir folgten Gabriel tiefer in den Wald hinein, wo wir auf Jakob, Lumina und Merton stießen. Hier war es still. Niemand hätte geglaubt, dass unter diesen dicht belaubten Bäumen, in denen die Vögel sangen und die Eichhörnchen spielten, Menschen gestorben waren.
»Also«, meinte ich, »wann geht es los? Sollte ich nicht mit meinem Vater sprechen, bevor die Jäger kommen?«
»Wir können keinen Treffpunkt und keine Zeit vereinbaren, wenn wir nicht wissen, wann genau wir den Hubschrauber haben«, sagte Gabriel. »Doch dann muss es ganz schnell gehen. Das Überraschungsmoment ist auf unserer Seite. Die Jäger wissen nicht, was sie hier erwartet. Sie werden noch nicht zum Morden herkommen, sondern um die beiden zu suchen, die in der Nacht nicht zum Hubschrauber zurückgekehrt sind. Sie könnten verletzt sein oder sich versteckt haben. Die Rache wird später erfolgen, wenn die Familien der Getöteten einen Feldzug starten.«
»Also hört zu.« Jakob legte den Plan dar.
Besonders kompliziert war er nicht – während die Regs ihre Toten holten, wollten Gabriel und Jakob den Hubschrauber stürmen, und Orion sollte ihnen Feuerschutz geben. In der Zwischenzeit mussten Merton und Lumina die Regs, die schon im Wald waren, an der Rückkehr hindern. Meine Aufgabe war es, mich versteckt zu halten. Und meinen Vater anzurufen. Was ich darüber hinaus vorhatte, ahnte keiner der anderen. Es war verrückt, natürlich, aber was in dieser verrückten Welt war das nicht?
Orion musterte mich nachdenklich, während ich den Tom entgegennahm. Der Lack war etwas zerkratzt, ansonsten konnte man von außen nicht erkennen, dass etwas an ihm verändert worden war.
»Ruf an, sobald du den Hubschrauber hörst«, befahl Gabriel. »Wir suchen uns jetzt jeder ein Versteck.« Er war nervös, das merkte sogar ich, obwohl ich in meine eigene Dunkelheit verstrickt war. Ich fühlte mich wie eine Fliege, die eingesponnen war, allein mit sich und dem Netz und der Spinne. Und doch nahm ich darüber hinaus noch viel mehr wahr, als ich mir wünschte.
Was ich tun wollte, würde es Gabriel und Jakob vielleicht doch gefährden? Was würden die Sekunden, die ich brauchte, um in den Hubschrauber zu klettern, die beiden kosten?
Nein, sagte ich mir. Es wird keinen Unterschied machen. Ich werde schnell sein. Alle meine Gefühle abschalten und einfach handeln, und drüben in Neustadt werde ich genauso sein – rasch, effizient, ohne Tränen. Und ich werde von niemandem Abschied nehmen.
»Hier«, sagte Orion leise. »Verstecken wir uns unter den Ästen dort.«
Lumina ging mit Merton, aber Orion war bei mir. Der Baum war freundlich zu uns. Er ließ seine Äste herabhängen, sodass sie den Boden berührten. Die Blätter raschelten leise, während sie von einem leichten Wind bewegt die Erde streiften.
»Ich erlaube es nicht«, flüsterte er. »Es ist eine bodenlose Dummheit.«
»Du weißt doch gar nicht, was ich vorhabe. Seit wann kannst du Gedanken lesen?«
Orion lachte, kaum hörbar. »Instinkt«, sagte er. »Wenn ich die Menschen beobachte, kann ich gut erraten, was sie vorhaben. Aber um zu sehen, wie es dir geht, braucht man keine speziellen Fähigkeiten.«
»Ach ja?« Aus irgendeinem Grund machte mich das wütend. Ich hatte keine Gefühle, aber trotzdem ärgerte es mich.
»Du hast zwei Menschen getötet«, flüsterte er. Wir hockten so dicht beieinander, dass sein Atem mein Gesicht streifte. Es gab keine Möglichkeit, ihm auszuweichen. Ich hätte aufgehört zu atmen, wenn ich gekonnt hätte. Aber vielleicht auch nicht. Vielleicht war da ein Teil von mir, der jede Sekunde mitnehmen und aufbewahren wollte. Jedes Wort. Jeden Moment, an dem ich seinen Körper so dicht neben meinem spürte.
»Das war ich nicht.«
»Ach, Pi. Meine kleine Erbse.« Er legte seine warme Hand an meine Wange. »Ich muss dir nicht sagen, was du damit bewirkt hast. Wie vielen Menschen du das Leben gerettet hast.«
»Hör auf.«
In meinem Kopf war immer noch das Geräusch von Stein auf Knochen. Meine Hände hatte ich gewaschen, trotzdem fühlte ich das klebrige, warme Blut daran. Es gab nur einen einzigen Weg, um das loszuwerden – zurück in meine Wolke. Zurück in mein altes Leben, auch wenn es nur ein gedämpftes, halbes Leben war. Ich würde glücklich sein. Lucky würde da sein. Was brauchte ich mehr? Im Moment schien es mir die einzige Möglichkeit, um überhaupt irgendwie zu
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