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Wild (German Edition)

Wild (German Edition)

Titel: Wild (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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des Landes: oben, in Richtung Westen, führt die Straße von der City aus am Agrarwissenschaftlichen Zentrum (Bezirk Zwei) vorbei in Richtung Westtor, vor dem der dritte Bezirk liegt, der das Pädagogische Zentrum beheimatet. Dann geht es scharf nach Süden, wo in der Kurve Bezirk Fünf liegt, das Technische Zentrum, in einem weiteren Schlenker führt die Straße nach Bezirk Vier, wo wir wohnten und die meisten Eltern am Bio-Institut arbeiteten.
    In der Mitte des Handtaschengriffes, der größten unbebauten Fläche Neustadts, liegen die Gewächshäuser und Felder, von denen unsere Lebensmittel stammen, die Getreidemühlen und Aromafabriken.
    Der kürzeste Weg zum Westtor führte also an der nördlichen Grenze entlang, durch die Bezirke Zwei und Drei. Wir hatten damit gerechnet, dass wir am frühen Abend im dritten Bezirk ankommen würden; genug Zeit, um sich umzusehen und sich ein Versteck für die Nacht zu suchen. Doch dieser Umweg über die Südstraße würde uns ein paar wertvolle Stunden kosten.
    »Und wenn wir durchfahren?«, fragte ich. »Mitten durch, meine ich? Durch Sechs?«
    »Wie – durchs Agrargebiet?« Happiness Zuckermann warf einen Blick über die Schulter und runzelte die Brauen. »Da ist keine Straße.«
    »Keine Schnellstraße, aber Straßen gibt es doch bestimmt. Schon wegen der Landmaschinen.«
    »Man darf da nicht durch.«
    »Ich hab noch nie Sperren an den Einmündungen gesehen«, hielt ich dagegen.
    »Nein«, sagte sie scharf. »Wir wissen nicht, was uns im Agrarland erwartet. Wer weiß, ob es da nicht noch mehr Kontrollen gibt. Und ihr habt keine Zeit für Experimente, wenn ihr die Rallye gewinnen wollt.«
    Unbehelligt fuhren wir zwischen City und Bezirk Vier hindurch, durchquerten eine öde Fläche, die uns in den fünften Bezirk brachte, und nach einer kurzen Pause – Happiness bestand darauf, dass wir alle etwas zu essen brauchten – ging es weiter, zwei, drei Stunden nach Norden, bis die hohen Türme des Pädagogischen Instituts sichtbar wurden. Im Osten zog bereits Nachtdunkel herauf, als würde die Nacht die Sonne vor sich herjagen und schlussendlich über die Kante der Welt treiben.
    Keiner von uns kannte sich im dritten Bezirk aus. Das Institut war uns nur im Schulunterricht begegnet, als wir einen Vortrag darüber gehört hatten, wie die Glücksgaben hergestellt und abgefüllt wurden. Dafür waren riesige Produktionsanlagen nötig.
    Je weiter wir in den Ort hineinfuhren, umso dunkler wurde es, und mit dem Licht schwand unsere Zuversicht.
    »Ich lasse euch gleich da drüben raus«, sagte Happiness, die im Schritttempo durch die Straßenschluchten fuhr. »Das sollte nah genug sein. Ihr gewinnt das Spiel, wetten?«
    Die Wände der Fabriken ragten zu beiden Seiten in die Höhe, wir kamen an zahlreichen Werkstoren vorbei. Die Arbeiter strömten nach Hause – schöne Männer und Frauen mit schwungvollem Schritt, aber auch andere, die müde schlurften und die offensichtlich noch nie eine Behandlung bei Dr. Peters und Co. genossen hatten. Solange wir nicht versuchten, irgendwo auf ein Werksgelände abzubiegen, hielten uns keine Sperren oder Tore auf. Zur Grenze hin lagen die Wohngebiete, die sogar im Laternenlicht sauberer und besser aussahen als unsere im vierten Bezirk.
    Schließlich lenkte Happiness den Wagen an den Straßenrand und schaltete dessen neuerwachten Protest ab. »Viel Glück, ihr fünf.«
    Moon bedankte sich wortreich. Ich nickte bloß. Was hätte ich auch sagen sollen? Meine Knie zitterten, aber ich atmete tief durch und hob den Kopf. Mir war schwindelig vor Angst, aber wir waren stillschweigend übereingekommen, nicht über die Wildnis nachzudenken. Seit wir die falschen Glücksgaben erhalten hatten, lief alles darauf hinaus: Neustadt zu verlassen. Was uns draußen erwartete, durfte uns nicht kümmern.
    Happiness Zuckermann wendete und brauste davon.

17.
    »Also los, Leute«, sagte Orion.
    Wir waren nicht die Einzigen auf den Bürgersteigen, daher fielen wir nicht auf. Mit dem Strom der Arbeiter, die nach Hause strebten, näherten wir uns der Grenze.
    In der Stille der Nacht kam mir jedes Wort überflüssig und falsch vor. Einen Moment lang war es, als würde uns eine Blase aus Stille einhüllen, uns fünf und unsere wilden Gefühle. Auf einmal sehnte ich mich wieder nach meiner Wolke, die alle scharfen Ecken und Kanten umhüllte. Ich war nicht so glücklich gewesen wie die anderen, aber die jetzige Klarheit der Gedanken fühlte sich an wie ein scharfer Stachel in

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