Wild (German Edition)
zuschrie, ich sollte fliehen. Mein Name war wie ein Stoß in den Rücken, der mich vorwärtstrieb, fort von ihm.
»Hat es dir die Sprache verschlagen?«, fragte Merton unfreundlich.
Was sollte ich sagen? Peas – auch wenn sie annehmen würden, dass ich »Peace« meinte? Aber das Mädchen, das diesen Namen getragen hatte, war ich nicht mehr. Peas, die durch eine graue Wolke taumelte.
»Wir beißen schon nicht«, sagte Gabriel und lächelte unerwartet, einer seiner Mundwinkel zog sich hoch, und durch den ganzen Aufruhr in mir drang die Erkenntnis zu mir durch, dass er mein Zögern amüsant fand.
»Pia«, antwortete ich schließlich. So nannte meine Mutter mich immer, der Name war okay. Damit war ich ich selbst und doch genug von mir entfernt, von jener Pi, die an Orions Seite rannte und wusste, dass sie in die andere Richtung laufen sollte, zurück zu Lucky.
»Gut, Pia«, sagte Gabriel und drehte den toten Mann auf den Rücken. »Würdest du dir diesen Kerl kurz ansehen? Kennst du sein Gesicht? Vielleicht aus dem Fernsehen?«
Ich schüttelte bestimmt den Kopf. Mir war schleierhaft, woher ich ihn hätte kennen sollen, diesen Typen, der bewaffnet durch den Wald geschlichen war und nun zwischen braun getupften Federn lag. Nicht die erste Leiche, die ich mir ansah. Meine Gefühle wehten davon und ließen mich kalt und leer zurück.
»Also kein hochrangiger Reg«, sagte Gabriel. »Entweder ein Angehöriger oder einer der Urlaubsjäger aus Glücksstadt.«
»Schade«, murmelte Merton. »So oder so werden sie Vergeltung üben.«
Gabriel zuckte die Achseln. »Sollen sie kommen. Wir werden sie erwarten.« Er nickte den anderen zu. »Geht nur, wartet nicht auf uns. Sie wird ein wenig länger zum Treffpunkt brauchen.«
Unvermittelt ging mir auf, dass er mich meinte. »Nehmt bloß keine Rücksicht«, sagte ich, »ich komm schon klar«, aber er lächelte nur.
Leider hatte Gabriel recht, was meine Geschwindigkeit anging.
Lumina und Merton ließen uns schon bald zurück, während ich mit letzter Kraft hinter dem Jungen mit dem Medaillon herstolperte. Ich war wie betäubt, am liebsten wäre ich einfach zusammengebrochen und hätte tot gespielt. Ob Gabriel mich heimlich auslachte, Mitleid hatte oder mich verachtete – nichts davon konnte ich in seinem Gesicht lesen. Ohne ein Zeichen von Ungeduld wartete er auf mich, wenn ich wieder einmal hingefallen war.
»Musstest du dich schon öfter um Flüchtlinge kümmern?«, fragte ich. »Weshalb holt ihr überhaupt Leute von Neustadt ab?«
»Wir hatten auf ein, zwei starke Männer gehofft. Frauen sind natürlich besonders willkommen«, er verzog nicht mal die Miene, während er seinen Blick unverschämt über meine Figur wandern ließ, »aber selten, und Mädchen lassen sie eigentlich nie raus. Meistens gibt es nur Ausschuss. Durchgeknallte Junkies, die die Droge nicht mehr vertragen oder in einer Praxis eingebrochen sind und sich ganze Wagenladungen voll reinziehen. Helm ist gut darin, zu entscheiden, wen er mitnehmen kann und wen nicht. Er hat bisher noch nie danebengelegen. Deshalb schickt Paulus ihn los, sobald wir die Nachricht erhalten, dass das Tor sich öffnen wird.«
»Wer ist Paulus?«, fragte ich.
»Unser Anführer. Wir haben ihn gewählt, für vier Jahre.«
»Ich weiß, was eine Demokratie ist«, fauchte ich. »Unsere Minister werden auch gewählt.«
»Ach, wirklich?«
Ich hatte das Bedürfnis, Neustadt zu verteidigen, warum auch immer. Das hier waren die Wilden, die in der Wildnis hausten. Was bildete er sich ein, mir etwas über Politik erklären zu wollen?
»Wo gehen wir eigentlich hin? Gibt es so etwas wie eine Stadt?« Ich hoffte, es würde ein Ort sein, an dem sich irgendetwas in der Mikrowelle drehte. Obwohl, hatten die Wilden überhaupt Strom? Sie würden wenigstens etwas in einer Pfanne über dem Feuer braten, oder? Wenn ich an Helms Vorsicht, was Feuer anging, dachte, sah ich da allerdings schwarz. Ob Gabriel es mitbekam, wenn ich einfach so auf dem Weg verhungerte?
»Eine Stadt? Das ist Paulus’ Traum, aber er braucht noch mehr Holzfäller, die mithelfen, daran zu bauen. In den südlichen Hügeln. Er hat viele Anhänger, die nur zu gerne glauben wollen, was er ihnen verspricht. Sicherheit.« Gabriel spuckte das Wort förmlich aus. »Es gibt keine Sicherheit, solange die Regs auf die Jagd gehen, wann immer es ihnen passt, und unser Lager zerbomben, wann immer wir ihnen einen Anhaltspunkt liefern, wo es ist.«
Sein Zorn erschreckte mich, und ich
Weitere Kostenlose Bücher