griff nach der Blechbüchse mit Haarbändern. Auf halbem Weg stoppte ihre Hand, als sie einen gefalteten Zettel bemerkte, auf dem ein J stand. Sie berührte den Buchstaben und er verwischte. Kohlestift.
Ihr Puls begann zu rasen. Sie riss den Zettel an sich und betrachtete die vertraute, kindliche Schrift – nur Easy schaffte es, den Buchstaben J praktisch unleserlich zu schreiben. Einen Moment lang zögerte sie und sagte sich, dass es sich nicht gehörte, die Briefchen anderer zu lesen. Doch dann siegte ihre Neugier.
Innen auf dem Zettel war nur eine Bleistiftzeichnung – ein Junge mit dunkler, unordentlicher Lockenmähne in schlampigen Jeans mit Löchern an den Knien und einem T-Shirt mit dem Peace-Zeichen. Es war leicht zu erraten, wer das sein sollte. Easy. Er warf eine Kusshand.
Ehe es Callie richtig bewusst wurde, hatte sie den Zettel zu einer kleinen, festen Kugel zerknüllt. Eine Sekunde lang starrte sie das Ding auf ihrer Handfläche an, dann stopfte sie es in die Reißverschlusstasche ihrer Sporthose. Wütend sah sie sich im Zimmer um, auf der Suche nach etwas, das sie zerbrechen, zerreißen, an die Wand klatschen könnte... Ihr Blick blieb an der Blechbüchse hängen und sie griff nach Jennys Haarbändern und schnalzte sie – eins nach dem anderen – in alle Richtungen des Zimmers. Mit jedem Haarband, dass durch die Luft sauste und zwischen den Haufen von zerknüllten Designer-Klamotten auf dem Boden verschwand, ließ ihr Wutanfall zumindest etwas nach.
Sie packte ihre Sporttasche, stapfte aus dem Raum und rannte die zwei Stockwerke zu Tinsleys Zimmer hinunter – sie brauchte jetzt SOFORT! eine Person, die ihr sagte, wie viel hübscher sie war als diese zwergenhafte Busen-Jenny und wie sehr Easy es den Rest seines Lebens bedauern würde, mit ihr Schluss gemacht zu haben.
Callie stürmte um die Ecke und blieb abrupt stehen. Grrrr! Direkt vor Tinsleys und Bretts Zimmertür stand Jenny, in schmalen, dunkelblauen Jeans, putzigen Gummistiefeln mit Blumenmuster und einem tatsächlich sehr hübschen roten, modischen Plastikregenmantel. Die dunklen Locken klebten ihr an der Stirn und ihre makellose, helle Haut glänzte vom Regen. Sie hätte vielleicht, vielleicht ganz okay ausgesehen, wären da nicht dieses gezierte, selbstzufriedene Lächeln gewesen und diese Rotfärbung ihrer Wangen. Sie hatte einen Stift in der Hand und wollte gerade etwas auf das abwaschbare Plastiktäfelchen an Tinsleys Tür schreiben.
»Oh, hi!« Erschrocken sah Jenny auf. »Ich, äh, wollte gerade eine Nachricht für Brett hinterlassen.« Ihre Wangen wurden noch tiefer rot.
Ehe Callie überhaupt die Gelegenheit hatte, Jenny abblitzen zu lassen, ging die Tür auf. Tinsley stand da in einer schwarzen Yoga-Hose und einem passenden Sport-BH. Sie erfasste die Situation sofort, grinste Callie kurz zu und richtete den Blick ihrer veilchenblauen Augen auf Jenny, die mit dem Stift in der Hand erschrocken einen Schritt zurückgetreten war. Tinsley neigte den Kopf zur Seite, als sei ihr völlig schleierhaft, was Jenny an ihrer Tür wollte.
Das Schweigen und die vernichtenden Blicke der beiden älteren Mädchen ließen Jenny beinahe zu Staub zerfallen. »Äh, ich seh euch dann bei Sport...« Ihre hohe Stimme erstarb und sie zog sich zur Treppe zurück.
»Ist das mein Stift?«, fragte Tinsley kühl.
»Oh, entschuldige.« Jenny kam zurück und reichte Tinsley den Stift. Schnell zog sie die Hand wieder zurück, als hätte sie Angst, sich zu verbrennen. »Kannst du Brett sagen... Ach, egal«, verbesserte sie sich, denn ihr fiel plötzlich ein, dass Tinsley und Brett ja auch nicht miteinander sprachen. »Ich geh mal lieber.«
Callie und Tinsley starrten ihr nach, als sie um die Ecke verschwand. Dann legte Tinsley die Hand auf Callies langen, schlanken Arm. »Keine Sorge. Die kriegt noch, was sie verdient.« Tinsleys boshafte veilchenblaue Augen funkelten. Sie war eine Intrigantin und Rache war ihre Lieblingsbeschäftigung. Es war offensichtlich, dass sie schon einen Plan hatte, wie sie Jenny »drankriegen« wollte.
Aber das beruhigte Callie nicht. Wenn sie ganz tief in sich hineinhorchte, dann wollte sie Jenny gar nicht drankriegen. Was sie wirklich wollte, war, dass Easy dorthin zurückkam, wo er hingehörte.
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Mittwoch, 2. Oktober, 16:04 Uhr
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Seligkeit
Bree, hab lange nichts