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Wilde Chrysantheme

Wilde Chrysantheme

Titel: Wilde Chrysantheme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Feather
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unausweichlich heimsuchte, wenn sie nicht klug genug waren oder nicht die Mittel hatten, um für eine ungewisse Zukunft vorzusorgen.
    »Sie ist hier drinnen.« Mr. Cogg blieb vor einer offenen Tür auf dem obersten Absatz der letzten Treppe stehen. Er keuchte atemlos, und Schweiß lief in Strömen über sein Gesicht. »Lucy Tibbet!« bellte er in die stickige, dämmrige Dachkammer hinein. »Lucy Tibbet… komm her und zeig dich, Weib!«
    Ein schwaches Stöhnen ertönte von der gegenüberliegenden Wand, und Lilly drängte sich an dem Wächter vorbei und rannte in den Raum, wobei ihre duftigen rosa Röcke elegant hinund herschwangen. Die andern folgten, in strahlendes Blau und zartes Pastellgrün gekleidet, und beugten sich gemeinsam über die Gestalt im Stroh. Sie sehen wie sommerliche Schmetterlinge in einem Kerker aus, dachte Juliana, als sie sich zu ihren Begleiterinnen gesellte, und die Nase über den durchdringenden Gestank rümpfte, der aus einem Blecheimer in der Ecke aufstieg.
    Lucy lag im Stroh, die Augen halb geschlossen. Sie war schmutzig, ihr Haar verfilzt und fettig, ohne Schuhe und nur in ein zerrissenes Hemd gekleidet. Hektische Fieberröte bedeckte ihre eingefallenen Wangen, und eine klauenähnliche, abgemagerte Hand lag in Lillys Handfläche.
    »Allmächtiger, was haben sie dir angetan?« schrie Emma entsetzt und fiel in dem schmutzigen Stroh auf die Knie. »Wo sind deine Kleider?«
    »Der Wärter hat sie genommen«, krächzte Lucy. »Um für Brot und Wasser zu bezahlen. Bis nichts mehr übrig war…« Sie drehte den Kopf auf dem Stroh, während zwei Tränen unter ihren geschlossenen Lidern hervorquollen. »Sie haben mir meinen guten Unterrock weggenommen und mir statt dessen diesen Fetzen gegeben. Wahrscheinlich sollte ich noch dankbar sein, daß sie mich nicht nackt hier liegenlassen.«
    »O Gott, wie gemein und niederträchtig!« Rosamunds Tränen tropften in das Stroh.
    »Wir sind gekommen, um Sie hier herauszuholen«, schlug Juliana einen nachdrücklichen Ton an, um ihre eigene Bestürzung und Betroffenheit zu verbergen. »Rosamund, leih doch Lucy deinen Umhang, er wird sie etwas schützen, bis wir sie in die Kutsche verfrachtet haben.«
    Rosamund öffnete bereitwillig den Verschluß ihres eleganten Capes. Lilly hob Lucy aus dem Stroh und legte ihr das weiche Kleidungsstück um die Schultern. Der Kontrast zwischen der schimmernden Seide und dem schmutzigen, verfilzten Haar, den hohlen Wangen und dem zerrissenen Hemd des Mädchens war schockierend.
    »Können Sie laufen?« Juliana zog Lucy halb auf die Füße und hielt sie fest, als sie benommen schwankte.
    »In meinem Kopf dreht sich alles.« Lucys Stimme zitterte. »Ich bin seit Tagen nicht mehr aufgestanden.«
    »Bald wirst du dich wieder kräftiger fühlen«, tröstete Emma und streichelte Lucys dürren Arm. »Ich würde Mutter Haddock am liebsten ein Messer in den Bauch rammen!« fügte sie kampfbereit hinzu. »Wir wußten überhaupt nicht, daß du hier bist. Erst vor ein paar Tagen haben wir zufällig davon erfahren. Die Alte hatte ihren Mädchen eingeschärft, Stillschweigen über die Sache zu bewahren, wenn sie sich nicht ebenfalls in diesem Gemäuer wiederfinden wollten.«
    »Irgendeine Möglichkeit finden wir bestimmt, es ihr heimzuzahlen«, murmelte Lilly, als sie sich in der schauerlichen Dachkammer umsah. »Sie hat es darauf angelegt, dich in diesem elendigen Rattenloch umkommen zu lassen.«
    »Ich schlage vor, wir machen uns später Gedanken über einen Rachefeldzug«, sagte Juliana, als sie einen stützenden Arm um Lucys Taille schlang. »Lilly, du nimmst ihren anderen Arm.«
    Der Torwächter stand noch immer in der Tür und beobachtete die Szene gleichgültig. In seine Schweinsaugen trat jedoch ein scharfer Ausdruck, als er Lucy auf den Füßen stehen sah. »He, Mädchen, du gehst hier nicht eher weg, bis ich mein Geld bekommen hab'!«
    Auf ein Nicken von Juliana hin zog Lilly die beiden Geldscheine aus ihrem Muff. »Hier, dies ist die Summe, um ihre Schulden zu bezahlen.« Mr. Cogg streckte gierig die Hand nach dem Geld aus, doch Lilly hielt die Scheine fest.
    »Wie um alles in der Welt habt ihr…«
    »Still, Liebes, sprich lieber nicht, bis wir draußen in Sicherheit sind«, sagte Rosamund und tätschelte beruhigend Lucys Hand. »Dann werden wir dir alles erklären.«
    »Geben Sie schon her!« Mr. Cogg schnippte ungeduldig mit den Fingern.
    »Das Geld muß an Mistress Haddock bezahlt werden«, sagte Juliana. »Und Sie bekommen

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