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Wilde Chrysantheme

Wilde Chrysantheme

Titel: Wilde Chrysantheme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Feather
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Tibbets Freilassung mit
ihm
regeln. Und Sie, Cogg, gehen leer aus.«
    Der Torwächter blickte sie verdutzt an. Er war es nicht gewöhnt, mit solch herrischen jungen Frauen zu verhandeln. Im allgemeinen waren jene, die an sein Tor kamen, um Freunde oder Verwandte zu befreien, fast so ärmlich wie die Gefangenen. Sie sprachen Mr. Cogg mit
Sir
an, schlugen unterwürfig die Augen nieder und schlichen geduckt herum, um nur ja kein Mißfallen zu erregen. Sie fühlten sich in Gegenwart von Richtern gar nicht wohl, und in den meisten Fällen genügte eine angedeutete Drohung, um dem Torhüter eine beträchtliche Vermittlungsgebühr zu sichern.
    Lilly war neben Juliana getreten, auch sie funkelte den Torwächter grimmig an. Emma und Rosamund, ermutigt von der unerschrockenen Selbstbehauptung ihrer Freundinnen, blickten ebenfalls starr auf Mr. Cogg.
    Nach einer Minute schnaubte der Torwächter verächtlich und streckte die Hand aus: »Geben Sie schon her!«
    Juliana schüttelte den Kopf. »Nicht eher, als bis Sie uns zu Mistress Tibbet geführt haben.«
    »Kommt nicht in Frage. Erst will ich Ihr Geld sehen, Mylady.« Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf, doch selbst dann gelangten seine Augen nur knapp auf eine Höhe mit Julianas. Sie betrachtete ihn so geringschätzig wie eine Amazone, die über einen Pygmäen stolpert.
    »Na schön, dann werde ich einen Richter finden.« Energisch machte sie auf dem Absatz kehrt, während sie innerlich flehte, daß der Bluff funktionierte. Es könnte Stunden dauern, bis sie einen Richter gefunden hatte, und weitere Stunden, um Lucys Freilassung auf diesem Wege zu bewirken. Juliana haßte es aus vollem Herzen, ihre Pläne plötzlich ändern zu müssen. Nachdem sie erst einmal ihr Herz und ihren Verstand an die Idee gehängt hatte, diesen Ort mit Lucy im Schlepptau zu verlassen, gäbe sie sie nur höchst ungern auf.
    »He, he, nicht so schnell. Warten Sie«, knurrte der Torwächter. Er wußte, wenn ein Richter die Freilassung der Gefangenen anordnete, würde er keinen müden Penny zu sehen bekommen. Eine goldene Guinee war immer noch besser als gar nichts. Er nahm einen letzten kräftigen Schluck aus seiner Flasche und wackelte aus seinem Häuschen heraus, während er sich die Nase mit einem rotgetupften Taschentuch putzte. »Hier lang!«
    Sie folgten ihm durch einen Hof, auf dem ein unglaubliches Gedränge herrschte. Zwei kleine Jungen flitzten durch die Beine der Menschenmenge hindurch und prallten prompt gegen den Torwächter, dessen Hände blitzschnell vorschossen und den Kindern kräftige Ohrfeigen versetzten, während er wie ein Bulle weiterstrebte. Die Jungen stürzten zu Boden und rieben sich heulend die Ohren. Eine Frau schrie sie an und kam auf sie zugelaufen, erbost ein Nudelholz schwingend. Die Kinder rappelten sich hastig wieder auf und verschwanden so hurtig, daß es schien, als hätten sie gar nicht existiert.
    Der Wächter boxte sich durchs Gewühl in einen weiteren, ebenso überfüllten Innenhof wie der erste. Hier gab es Kochfeuer, und Frauen schrubbten Kleider in Tonnen, die zum Auffangen des Regenwassers dienten. Ihre abgemagerten Körper waren in Lumpen gehüllt, die Kinder zum größten Teil halb nackt. Die Szene erinnerte Juliana an die Zigeunerlager im New Forest während ihrer Kindheit.
    Aber die Zustände im Inneren des Gebäudes waren noch erbärmlicher. Hier herrschten Krankheit und tiefste Verzweiflung. Klapperdürre, vornübergebeugte Gestalten saßen auf schmutzigen Steintreppen und starrten mit trüben Augen vor sich hin, als der Torhüter, gefolgt von Juliana und ihren Begleiterinnen, schnaufend die Stufen erklomm. Juliana erhaschte einen Blick auf Räume, die von den Treppenabsätzen abzweigten – Räume ohne jede Möblierung, mit unverglasten Fenstern und schmutzigem Stroh auf dem Fußboden. In dem Stroh lagen reglos zusammengekauerte Körper, wie Knäuel achtlos weggeworfenen Papiers. Die Luft stank nach Tod und Trostlosigkeit. Diese Menschen hier lagen im Sterben, für sie gab es keine Rettung mehr. Sie hatten keine Menschenseele auf der Welt, die sie mit Geld unterstützte – entweder, um ihre Freilassung zu bewirken, oder um ihnen zumindest genügend Brot für Körper und Seele zu verschaffen.
    Julianas drei Gefährtinnen schwiegen bedrückt und schauten weder rechts noch links, um den Anblick der Schrecken zu meiden, die finster am Rande ihrer eigenen Existenz lauerten – die Not und das Elend, das die Alten und Schwachen von Covent Garden

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