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Wilde Chrysantheme

Wilde Chrysantheme

Titel: Wilde Chrysantheme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Feather
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plötzlichen Zweifeln befallen. Worauf ließ sie sich da ein? Sie gab sich in die Hand dieses hinterhältigen, durch und durch kranken, degenerierten Lüstlings… aber nein, das stimmte nicht ganz. Jetzt hatte sie ja eigenes Geld und könnte notfalls ohne seine Begleitung nach Hause zurückkehren. Sie wollte wirklich mit eigenen Augen sehen, wie es den Frauen erging, die sich ihren Lebensunterhalt auf den Straßen von Covent Garden verdienten.
    »Ich bin gleich wieder da«, sagte sie, als sie sich erhob. »Werden Sie hier auf mich warten?«
    »Mit Vergnügen«, erklärte Lucien unter einer spöttischen Verbeugung. »Solange in der Karaffe noch etwas drin ist.« Er schlenderte zum Tisch, um sein Glas nachzufüllen.
    Juliana eilte in ihr Schlafzimmer, nahm einen dunklen Kapuzenumhang aus ihrem Kleiderschrank und hakte den Verschluß am Hals zu. Sie trug keinen Schmuck, weil sie außer dem schmalen goldenen Ehering an ihrem Finger keinen besaß, und die prachtvolle Eleganz ihres Kleides wurde von dem langen, weiten Umhang verhüllt. Er nahm ihr etwas von ihrem Unbehagen über diese Expedition, fast als ginge sie inkognito.
    Sie hastete zu ihrem Salon zurück, wo Lucien zusammengekrümmt auf dem Sofa hockte, tief in Gedanken versunken, während er den bernsteinfarbenen Inhalt seines Glases schwenkte. Er blickte auf, als sie den Raum betrat, und es dauerte eine Minute, bis in seinen glasigen Augen so etwas wie Wiedererkennen aufblitzte. »Oh, da sind Sie ja.« Seine Beine wollten ihn kaum tragen, und Juliana bemerkte, daß seine Sprechweise in den wenigen Minuten ihrer Abwesenheit noch undeutlicher geworden war.
    »Sind Sie sicher, daß Sie sich wohl genug fühlen, um auszugehen?« fragte sie besorgt.
    »Machen Sie sich nicht lächerlich!« Er legte den Kopf zurück und goß sich den restlichen Inhalt seines Glases mit einem einzigen Schluck die Kehle hinunter. »Ich bin hervorragend in Form. Und ich habe nicht die Absicht, den Abend in diesem Mausoleum zu verbringen.« Er bahnte sich leicht schwankend einen Weg zu der Stelle, wo Juliana in der Tür stand, und drängte sich unhöflich an ihr vorbei.
    Stirnrunzelnd folgte sie ihm aus dem Haus und in eine Mietdroschke.
    Fünf Minuten später trat Tarquin aus der Bibliothek. Er hatte beschlossen, heute abend in »White's Chocolate House« in der St. James' Street an einer politischen Diskussion teilzunehmen und anschließend vielleicht noch eine oder zwei Partien Faro zu spielen. Als ihm der Lakai seinen Ausgehrock und die Handschuhe reichte, wies Tarquin ihn an, den Nachtwächter mit der Überwachung der Eingangstür zu beauftragen, da er damit rechne, erst sehr spät zurückzukehren. Dann trat er hinaus in den lauen Sommerabend. Es kam ihn gar nicht in den Sinn, sich nach Juliana zu erkundigen. Er nahm an, sie hielte sich in ihrem privaten Salon auf oder säße am Bett der Kranken in dem gelben Schlafzimmer.
    Juliana, fest in ihren Umhang gehüllt, lehnte sich in eine Ecke der Droschke zurück und beobachtete die Szene draußen vor dem Fenster, als sich das Gefährt mühsam einen Weg durch die Straßen bahnte, in denen Hochbetrieb herrschte. Die Hauptdurchgangsstraßen waren von Öllampen erhellt, aber als sie in eine Nebenstraße einbogen, kam das einzige Licht von der Laterne eines livrierten Lakaien, der zwei mit Schwertern ausgestattete Gentlemen eskortierte.
    In Covent Garden ging es genauso lebhaft wie am vergangenen Abend zu. Die Türen des Theaters waren bereits geschlossen, da die Vorstellung begonnen hatte, aber die Droschke brachte sie zu den Stufen der St.-Paul's-Kirche und kam zum Stehen. Juliana verkroch sich gleichsam in ihrem Umhang. Lucien folgte ihr mit unsicheren Schritten; er hatte dem Kutscher eine Münze hinaufgeworfen, dessen finsteres Stirnrunzeln darauf schließen ließ, daß er die Bezahlung als ziemlich unzureichend betrachtete.
    Eine lärmende Menschenmenge hatte sich vor den Stufen zum Kirchenportal versammelt; die Musik eines Flötenspielers, der einige Schritte entfernt auf dem Pflaster saß, ging völlig unter in den derben Schimpfworten und betrunkenen Flüchen der Leute, die sich gegenseitig schubsten und anrempelten, als sie weiter nach vorn drängten.
    »Was geht dort drüben vor?« fragte Juliana neugierig.
    Lucien zuckte die Achseln. »Woher soll ich das wissen? Gehen Sie hin und sehen Sie selbst nach.«
    Juliana ging zum Rand der Menge hinüber und stellte sich auf die Zehenspitzen, um über die Köpfe hinwegzuspähen.
    »Drängeln

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