Wilde Chrysantheme
Gelächter aus, und Juliana setzte sich wieder. Die Gruppe hatte etwas undefinierbar Abstoßendes an sich, das ihr eine Gänsehaut über den Nacken kriechen ließ. Sie konnte ihre verstohlenen Blicke auf sich spüren, obwohl sie sie jetzt scheinbar ignorierten, während sie fasziniert irgendeiner skandalösen Geschichte des Hauptmanns lauschten. Juliana schaute zur Tür hinüber, wo eine elegante Dame in Begleitung eines Lakaien stand und sich intensiv mit einem rundlichen Gentleman in einer altmodischen Lockenperücke unterhielt.
Während Juliana die Szene beobachtete, zählte der ältliche Herr fünf Münzen in die Hand der Dame. Sie reichte sie an den Lakaien weiter, der sie in seiner Tasche verschwinden ließ; dann hakte sie den Gentleman unter, sie durchquerten die Taverne und stiegen eine baufällige Treppe an der Rückseite des Schankraums hinauf. Der Lakai lehnte in der offenen Tür und stocherte gelangweilt in seinen Zähnen, während er die Passanten auf der Straße beobachtete.
Die Frau wirkte eigentlich zu wohlhabend, um eine Prostituierte zu sein, die sich ihre Kunden auf der Straße sucht, dachte Juliana. Und sie war ganz sicherlich zu elegant gekleidet gewesen, um ihre Kunden in einem schmuddeligen Hinterzimmer dieses verkommenen Unterschlupfs zu bedienen. Sie durfte nicht vergessen, sich von Lilly eine Erklärung zu holen.
»Nanu, Madam, Sie trinken ja gar nichts«, sagte Honourable Bertrand in lauterem Entsetzen. »Lucien, Lucien, du vernachlässigst die liebe Dame wirklich schändlich.«
Lucien grinste. »Hab's mit Gin bei ihr versucht, aber er schien ihr nicht zu bekommen. Was kann ich Ihnen sonst noch anbieten, meine Liebe? Ale, vielleicht? Port?«
»Milchpunsch, wenn Sie so freundlich sein wollen, Sir«, sagte Juliana, und ihre Nerven prickelten, als ihr aufging, daß sie unabweislich vorhatten, sie zum Gespött zu machen. Sie blickte sich suchend im Raum um, aber von dieser grölenden, betrunkenen Versammlung war gewiß keine Hilfe zu erwarten. Ein Paar wälzte sich auf dem Fußboden hin und her; die Frau hatte die Beine in die Luft gestreckt, ihre Röcke hingen in einem wüsten Durcheinander um ihren Kopf und entblößten ihren Unterkörper auf schamlose Weise. Juliana wurde regelrecht elend zumute. Sie schob energisch die Bank zurück und stand auf.
»Entschuldigen Sie mich bitte, Mylord. Plötzlich haben sich bei mir schreckliche Kopfschmerzen eingestellt. Ich werde mir draußen eine Mietdroschke nehmen.«
»O nein, ich dulde es nicht, daß Sie einfach verschwinden«, erklärte Lucien mit verschwommener Stimme, als er ihr Handgelenk packte und sie wieder neben sich zog. »Sie sind Ihrem Ehemann Gehorsam schuldig, Madam, und derselbe besteht darauf, daß Sie ihm Gesellschaft leisten und Ihren Milchpunsch trinken.«
Juliana nahm an, daß sie Luciens Griff wahrscheinlich ohne große Schwierigkeiten abschütteln könnte, aber die Augen seiner Kumpane ruhten mit einer finsteren Intensität auf ihr, als säßen sie bereits auf dem Sprung. Gegen alle vier konnte sie sich nicht wehren, falls sie sie festzuhalten suchten. Niemand in dieser Schenke würde ihr zu Hilfe eilen. Und ihr stand eine schreckliche Demütigung bevor, jede Sekunde davon würde Lucien ausgiebig genießen. Es war das gleiche, was ihm an der Ehefrauenversteigerung soviel Spaß gemacht hatte. Die totale Erniedrigung jener Frau hatte ihn veranlaßt, sich genüßlich die Lippen zu lecken wie eine Hyäne, die über einem halb verwesten Kadaver geifert.
Juliana setzte sich wieder. »Wie Sie wünschen, Mylord«, sagte sie mit einem ruhigen Lächeln.
Lucien sah eine Spur enttäuscht aus, dann klatschte er in die Hände und brüllte dem Schankgehilfen zu, Milchpunsch zu bringen. Juliana saß still da, bemüht, ihre Ruhe und eine Miene harmlosen Interesses an ihrer Umgebung beizubehalten. Die Frau am Boden befand sich jetzt im Vierfüßlerstand, der Mann kniete hinter ihr und streichelte ihre Schenkel mit den flachen Händen, als er den Geschlechtsakt mimte, begleitet von dem begeisterten Applaus seiner Zuschauer, die ihre Humpen in einer Serie von anfeuernden Trinksprüchen hoben. Die Frau lachte genauso ausgelassen wie alle anderen, während sie den Kopf zurückwarf und ihr Hinterteil vorund zurückschob, als begegnete sie den Stößen des Mannes mit ekstatischem Genuß.
Juliana versuchte, sich ihren Abscheu nicht anmerken zu lassen. Ihr fiel auf, daß Lucien kein Interesse an der Szene zu haben schien, obwohl seine Freunde in
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