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Wilde Chrysantheme

Wilde Chrysantheme

Titel: Wilde Chrysantheme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Feather
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Sie sich ruhig nach vorn«, sagte Lucien an ihrer Seite. »Mit Höflichkeit werden Sie in dieser Umgebung nicht weit kommen.« Er begann, sich rücksichtslos durch das Gewühl zu schieben, und Juliana folgte ihm, während sie sich bemühte, ihm dicht auf den Fersen zu bleiben, bevor sich der Pfad hinter ihm schließen konnte. Sie dachte wieder daran, wie Tarquin und Quentin sich einen Weg durch das Gewühl vor dem Theater gebahnt hatten; aber bei ihnen hatte es fast wie Zauberei gewirkt, ohne daß sie jemals ihre Stimmen erhoben hätten oder daß es so ausgesehen hätte, als müßten sie hier und da grob werden. Lucien dagegen fluchte lästerlich, als er seinen abgemagerten Körper wie einen Rammbock benutzte, und die Leute überhäuften ihn mit ebensoviel Gekeife, wie er ihnen entgegenschleuderte. Irgendwie gelang es ihnen, sich zum vorderen Rand der Menschenmenge vorzuarbeiten.
    Ein Mann in grober Arbeitskleidung stand auf den Stufen, neben ihm eine Frau in einem einfachen Leinenkittel und Schürze, deren Haar unter einem Tuch verborgen war. Ihre Hände waren gefesselt, und um ihren Hals lag ein Seil. Sie stand mit gesenktem Kopf und eingezogenen Schultern da, den Blick starr auf ihre Füße geheftet, als könnte sie sich auf diese Weise unsichtbar machen. Ein beifälliges Gebrüll stieg aus der Menge auf, als der Mann nach ihrem Kinn griff und sie zwang, den Kopf zu heben.
    »Na los, Leute, nennt mir euer Gebot«, rief er über den Lärm hinweg. »Sie ist eine tüchtige Hausfrau. Gesund und munter… gute, kräftige Beine und breite Hüften.« Er berührte die fraglichen Körperteile, die Frau erzitterte und versuchte, zurückzuweichen. Doch der Mann griff nach dem losen Ende des Seils und zog sie mit einem Ruck wieder nach vorn.
    Lucien lachte mit der Menge. Juliana, die zutiefst bestürzt und entsetzt über das Schauspiel war, blickte zu ihm auf und sah ein derart hämisches, boshaftes Vergnügen auf seinem Gesicht, daß ihr regelrecht übel wurde. »Was geht hier vor?« fragte sie gepreßt.
    »Eine Ehefrauenversteigerung. Ist das nicht offensichtlich?« Lucien wandte keine Sekunden die Augen von der Szene auf den Stufen, als der Ehemann die diversen guten Eigenschaften des bedauernswerten Wesens aufzählte.
    Plötzlich brüllte eine Stimme über den allgemeinen Krach hinweg. »Du hast jetzt deinen Spaß gehabt, Dick Begg. Bringen wir die Sache endlich hinter uns.« Ein muskulöser Mann drängelte sich durch die Menge und sprang neben dem Paar auf die Stufen. Die Frau wurde blutrot und wollte sich abwenden, aber ihr Ehemann riß erneut an dem Seil, das er noch immer in der Hand hielt, und sie war nur fähig, den Kopf wegzudrehen.
    »Zehn Pfund«, erklärte der Neuankömmling. »Und du wirst sie von jetzt ab in Ruhe lassen.«
    »Einverstanden«, erklärte der wackere Gemahl. Beide Männer spuckten sich in die Handfläche und tauschten dann einen kräftigen Händedruck, um den Handel zu besiegeln. Der zweite Mann zählte zehn Münzen in die dreckige Pfote des anderen, während die Zuschauer erneut beifällig brüllten; dann ergriff er das Ende des Seils und führte die jetzt schluchzende Frau mit sich zur Rückseite der Kirche.
    Dick Begg schob die Münzen in seine Hosentasche. »Ein Glück, daß ich die Schlampe los bin«, stellte er feixend fest. »Bin mit dem Weib sowieso nie klargekommen.«
    »Wie abscheulich!« murmelte Juliana empört. Sie hatte von solchen Versteigerungen gehört, jedoch noch niemals eine miterlebt. Die Menge zerstreute sich allmählich, nachdem der Spaß jetzt vorbei war, bis eine Schlägerei zwischen zwei stämmigen Straßenhändlern ausbrach. Sie droschen mit bloßen Fäusten aufeinander ein, und in Sekundenschnelle hatte sich ein johlender, begeistert anfeuernder Kreis von Leuten um die beiden Kontrahenten gebildet.
    Jetzt war Lucien derjenige, der angewidert dreinblickte. »Die reinsten Tiere«, sagte er mit einer verächtlichen Grimasse. Er marschierte davon in Richtung »Green Man«-Taverne, ohne auf Juliana achtzugeben.
    Sie folgte ihm in den Schankraum mit einer niedrigen Balkendecke, und ihre Augen begannen augenblicklich von dem Tabakqualm zu tränen, der als dicke blaugraue Wolke über den Köpfen der Trinker schwebte.
    »Gin!« rief Lucien einem vorbeihastenden Schankgehilfen zu, als er eine Bank unter einem langen Tisch herauszog und sich setzte. Die Bank war ebenso schmutzig wie die fleckige, mit Essensresten verkrustete Tischplatte. Juliana wischte vergeblich über die

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