Wilde Chrysantheme
erwartungsvolle Stille herabsenkte.
Es war Freddie Binkton, der die unheilverkündende Spannung brach. Sie waren zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen, und Flucht kam nicht in Frage, weil die Zuschauer ihnen den Weg versperrten. »Nun, nun, immer mit der Ruhe. Keiner will jetzt etwas Unbedachtes tun«, sagte er mit einem nervösen Auflachen. »Lucien, mein Lieber, du mußt doch etwas bei dir haben, womit du einen Teil deiner Schuld abbezahlen kannst. Wir tragen gerne alle etwas dazu bei.« Er klopfte seine Taschen ab, als könnte er auf diese Weise Münzen aus ihren Tiefen heraufbeschwören.
»Ich würde ja meine Uhr opfern«, sagte Bertrand und fügte dann trübselig hinzu: »Aber ich hab' sie auf den verdammten roten Hahn verwettet… das Vieh hatte nicht mehr Kampfgeist als ein neugeborenes Lamm. Hat einfach, ohne sich zu wehren, aufgegeben, der Schwächling… und ich hab' meine wertvolle Uhr verloren… hat mich damals fünfzig Guineen gekostet, das gute Stück… alles bloß wegen einer schäbigen Zehnpfundwette…« Er verstummte, als seine Gedanken abschweiften, und das Schwert in seiner Hand sank herab.
Die versammelten Schlägertypen senkten ihre drohend erhobenen Messer, als ob sie auf den Waffenstillstand eingingen, gaben ihre aggressive Haltung auf und wandten sich geschlossen Lucien zu, während sie auf seine Reaktion lauerten.
Lucien blickte sich in der Runde um. Seine Lippen waren zu einer schmalen Linie zusammengepreßt, an seiner Schläfe pochte ein Puls, auf seinen Wangen brannte noch immer jene fiebrige Röte, die sich so grell wie Clownsschminke von seinem wachsbleichen Teint abhob. Juliana, die dicht neben ihm stand, gewahrte seine ohnmächtige Wut, gemischt mit dem säuerlichen Geruch von Furcht und Schweiß. Sein Blick fiel auf sie, und sie wich ängstlich zurück, versuchte instinktiv, mit den Leuten um sie herum zu verschmelzen. Plötzlich flackerte etwas in seinen verschwommenen Augen auf, und sein Mund verzog sich zu einem langsamen, abscheulichen Grinsen.
»Oh, ich glaube schon, daß ich etwas zu verkaufen habe«, sagte er, wobei er kaum die Lippen bewegte.
»Nein!« flüsterte Juliana, eine Hand an der Kehle, als sie begriff, was er beabsichtigte. »Nein, das wagen Sie nicht!«
»Und wie ich das wage, Frau Gemahlin!« säuselte er. »Ehefrauen sind die bewegliche Habe ihrer Männer. Sie gehören mir, und ich kann über Sie verfügen, wie es mir beliebt. Sie sollten froh darüber sein, daß Sie zu etwas nützlich sind, Madam.« Seine Hand schoß vor und schloß sich erneut mit schmerzhaftem Griff um ihr Handgelenk. »Jemand soll mir ein Stück Seil bringen. Wenn schon, dann wollen wir die Sache auch so machen, wie es sich gehört.«
»Nun komm schon, Lucien, das ist doch nicht richtig, was du da tust«, murmelte Frank halbherzig. Er blickte unbehaglich auf Juliana, die ihn in ihrem Entsetzen nur wortlos anstarren konnte.
»Sei nicht so ein Waschlappen«, sagte Lucien mit einem verdrießlichen Stirnrunzeln. »Es steht dir nicht zu, mir vorzuhalten, was richtig ist oder nicht, wenn es um meine Ehefrau geht. Ah, das Seil! Danke.« Er griff nach dem Seil, das ihm ein grinsender Stallknecht reichte, und knüpfte eine Schlinge daraus. »Hier, Madam. Beugen Sie den Kopf.«
»Nein!« Juliana wich vor ihm zurück, von panischer Angst erfüllt sowohl vor dem Bösen, das seine grinsende, totenkopfähnliche Fratze verkörperte, als auch vor seiner teuflischen Absicht. Jemand packte ihre Arme und hielt sie hinter ihrem Rücken fest, so daß sie gezwungen war stillzustehen. Lucien, noch immer mit jenem gehässigen Zähnefletschen, streifte ihr grob die Schlinge über den Kopf. Hände zogen und zerrten an ihr, schubsten sie auf den Tisch hinauf. Sie wehrte sich verbissen gegen sie, als ihr Zorn jetzt die Oberhand über ihre Angst gewann. Sie trat mit den Füßen um sich und kratzte wild mit den Nägeln, schrammte sich die Schienbeine an der Tischkante auf, als sie gewaltsam hinaufgestoßen und -geschoben und -geschleift wurde. Aber trotz ihrer erbitterten Gegenwehr schafften sie es, sie auf den Tisch zu bugsieren, und Lucien ergriff das lose Ende des Seils.
Juliana, blind vor ohnmächtiger Wut, holte mit dem Fuß nach ihm aus und traf ihn mit dem Absatz ihres Schuhs hart am Kinn. Er taumelte rückwärts und ging mit einem Schmerzensschrei zu Boden, wobei er das Seil losließ. Während sie Anstalten machte, vom Tisch zu springen, packten zwei Männer blitzschnell ihre Fußknöchel und hielten
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