Wilde Chrysantheme
ihn freudig und nach besten Kräften dabei unterstützen. Es lohnte sich einfach nicht, die Demütigung einer Niederlage zu riskieren und Luciens bösartige Belustigung zu ertragen.
Juliana blieb einen Moment in der Tür des Gasthofs stehen, bevor sie erneut eintrat. Lucien beobachtete die Tür und wartete auf ihre Rückkehr. Er winkte sie ungeduldig zu sich und erhob sich leicht schwankend auf die Füße, als sie sich dem Tisch näherte. »Wir werden jetzt spielen«, erklärte er und nahm ihren Ellenbogen. »Sie werden an meiner Schulter stehen, Frau Gemahlin, und die Würfel anlächeln, damit sie mir Glück bringen.«
Juliana sah keine andere Möglichkeit, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen, und so zwang sie sich zu einem Lächeln heiteren Einverständnisses und begleitete die Männer zum Würfeltisch. Sie wurden von ziemlich mißmutigen, finsteren Blicken begrüßt, und die anderen Spieler machten ihnen widerwillig Platz. Juliana gähnte und schwankte vor Erschöpfung, als die Erregung am Tisch mit jedem Wurf der Würfel wuchs. Luciens Stimme wurde immer undeutlicher. Hektische rote Flecken hoben sich von der grünlichen Blässe seiner Wangen ab, und in seinen Augen brannte ein fiebriger Glanz, als der Flüssigkeitsspiegel in der Cognacflasche, die er jetzt in einer Hand hielt, beständig sank.
Die ersten Spiele gewann er und begann – solchermaßen ermutigt – immer höhere und gewagtere Summen zu setzen. Im gleichen Maße jedoch, wie sich seine Erregung steigerte, häuften sich seine Verluste. Er hatte sein gesamtes eigenes Geld bei den Hahnenkämpfen verloren und verspielte jetzt Bertrands Darlehen, versetzte nacheinander seine goldene Uhr, einen wertvollen Ring und seine Schnupftabakdose, bevor er sich mit Schuldscheinen behalf und sie in leichtsinniger Selbstvergessenheit auf den Tisch warf. Juliana war trotz ihrer Schläfrigkeit klar, daß sich seine Mitspieler nicht mit diesen hastig gekritzelten Papierfetzen zufriedengeben würden, und schließlich erklärte einer von ihnen empört: »Wenn Sie nicht mit Wertgegenständen oder Geld spielen können, Mann, dann werde ich nicht mehr würfeln. Leere Versprechungen kann ich nicht gebrauchen.«
»Richtig. Was ist schon ein Stück Papier wert, wenn man sich ein Ale bestellen will?« Der Chor wütender Stimmen schwoll an, die Spieler drängten sich gefährlich um den Tisch und funkelten Lucien drohend an.
»Der Teufel soll euch alle holen«, fluchte er. »Meine Schuldscheine sind so gut wie pures Gold, daß ihr's nur alle wißt, ihr Ignoranten. Unterzeichnet von Seiner Gnaden, dem Herzog von Redmayne. Präsentiert sie ihm morgen früh in seinem Haus in der Albermarle Street, und er wird euch die Summe mit Zinsen zurückzahlen.«
»Wer wird denn bis morgen warten?« Ein zustimmendes Grollen ertönte um den Tisch, und ein Mann erhob sich halb von seinem Platz. Er hatte gewaltige Fäuste, so groß wie Vorschlaghämmer, und ein schielendes Auge, das seinem volltrunkenen Blinzeln etwas zusätzlich Diabolisches verlieh. »Na los, her mit dem Geld,
Mylord«,
höhnte er, »sonst prügle ich Sie aus Ihrem Gehrock heraus.«
Lucien tastete ungeschickt nach seinem Schwert, aber nicht, bevor Hauptmann Frank Carson seinen Stuhl zurückgeschleudert hatte und aufgesprungen war, seine Waffe bereits in der Hand. »Sie wagen es, die Ehre eines Gentlemans zu beleidigen!« donnerte er, und seine Augen rollten in seinem Kopf, als er seinen glasigen Blick zu klären versuchte. »Das geht entschieden zu weit, Sir!« Er stürzte sich über den Tisch auf seinen Gegner. Der massige Mann wich dem Schwertstoß mit überraschender Behendigkeit aus und zog blitzschnell sein Entermesser. Eine Frau schrie, und die Menge im Schankraum rückte neugierig näher, wobei sich einige Gäste auf ihre Stühle stellten, um eine bessere Übersicht zu bekommen.
Juliana war jetzt hellwach. Ihr Blick schweifte zur Tür, die noch immer verlockend weit offenstand. Doch die faszinierten Zuschauer drängelten sich jetzt dicht an dicht hinter ihnen, und sie wurde unerbittlich an die Tischkante gepreßt. Die allgemeine Stimmung im Raum war gefährlich und drohte in offene Gewalt umzuschlagen. Lucien und seine Freunde, die ihre Schwerter gezogen hatten, sahen sich einer ganzen Armee von messerschwingenden Rabauken gegenüber, die nur darauf warteten, sich auf sie zu stürzen. Die Würfel lagen vergessen in der Mitte des Tisches, und der ohrenbetäubende Lärm im Schankraum erstarb, als sich
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