Wilde Chrysantheme
flüchtigen Blick auf seine eigenen robusten schwarzen Lederschuhe mit den einfachen Metallschnallen. »Und weiche mir jetzt nicht aus, Tarquin.«
»Ich bitte um Verzeihung. Meiner Ansicht nach hatten wir das Thema doch in aller Liebenswürdigkeit ausdiskutiert.« Tarquin nippte an seinem Sherry.
»Wirst du deinen wahnwitzigen Plan aufgeben?«
»Nein, teurer Bruder.«
»Dann gibt es nichts weiter hinzuzufügen.«
»Genau. Wie ich schon sagte, wir haben einen freundschaftlichen Schlußstrich unter die Diskussion gezogen.« Der Herzog erhob sich mit einer geschmeidigen Bewegung und stellte sein Glas ab, bevor er zur Tür ging. »Nun beruhige dich, Quentin. Du wirst nur Falten bekommen, wenn du so viel grübelst.«
»Und spiel
du
mir nicht den Gecken vor«, erklärte Quentin mit mehr Leidenschaft, als er gewöhnlich zeigte. »Ich falle nicht auf deine Tricks herein, Tarquin.«
Sein Bruder hielt kurz am Ausgang inne, ein leichtes Lächeln auf den Lippen. »Nein, Gott sei Dank, das tust du nicht. Laß dich niemals von mir täuschen, wenn du mich liebst, Bruder.«
Die Tür schloss sich hinter ihm, und Quentin trank sein Glas aus. Er kannte seinen Halbbruder seit nunmehr dreißig Jahren. Lebhaft erinnerte er sich daran, wie zornig und desillusioniert Tarquin als Fünfzehnjähriger gewesen war, wie verraten er sich gefühlt hatte, weil er nicht an die Freundschaft seiner Altersgenossen hatte glauben können. Er erinnerte sich an die Verzweiflung, als der junge Mann wenige Jahre später entdecken musste, daß die Frau, die er mit solcher Inbrunst liebte, nur an den Vorteilen interessiert war, die sich aus einer Liebesbeziehung mit dem Herzog von Redmayne ergäben.
Quentin wusste, wieviel dem Dritten Herzog von Redmayne das Familienerbe bedeutete. Tarquin war als der älteste Sohn und Erbe eines alten Titels und riesiger Ländereien erzogen worden, und er würde den Stolz und die Ehre seiner Familie bis zu seinem Todestag wahren.
Lucien hingegen gefährdete jene Ehre. Solange er Tarquins Mündel gewesen war, hatte der Herzog genügend Einfluß auf ihn gehabt, um die Zügel in der Hand zu behalten; jetzt hatte er jedoch keinerlei Einspruchsrecht mehr, was den Lebensstil ihres Cousins betraf oder dessen Umgang mit seinem Vermögen und den Landgütern. Quentin verstand Tarquins Besorgnis durchaus, dennoch konnte er den teuflischen Plan seines Halbbruders zur Rettung von Edgecomb keinesfalls gutheißen. Tarquin würde natürlich als Sieger aus der Auseinandersetzung hervorgehen, koste es, was es wolle.
Aber es musste doch noch irgendeine andere Möglichkeit geben. Quentin griff erneut nach seinem Buch und suchte Trost in Plutarchs Werk »Vitae parallelae«. Er hoffte nur, der Erzbischof würde sich Zeit lassen mit der Angelegenheit, die ihn, Quentin, nach London gebracht hatte. Jemand musste unbedingt ein wachsames Auge auf die Ereignisse in der Albermarie Street behalten. Manchmal pflegte Tarquin auf Quentin zu hören und ließ sich dazu überreden, seine weitreichenden Vorhaben noch einmal zu überdenken und abzuändern. Quentin liebte seinen Halbbruder von ganzem Herzen. Er hatte ihn während ihrer Kindheit wie einen Helden verehrt. Aber man durfte auch nicht die Augen vor der dunkleren Seite in Tarquins Wesen verschließen.
»Ah, Mylord, Sie sind gekommen.« Elizabeth erhob sich und knickste wiederum, als der Herzog in ihren Privatsalon geführt wurde.
»Aber natürlich, Ma'am. Wie hätte ich bei einem solchen Anreiz wohl fernbleiben können?« Tarquin zog eine emaillierte Schnupftabakdose aus seiner Tasche und nahm eine Prise. Mistress Dennison bemerkte selbstverständlich sofort, daß die feinen Gold- und Elfenbeineinlegearbeiten auf dem Deckel der Dose farblich exakt zu dem seidenen Mantel, dem Gehrock und den Kniehosen des Herzogs passten.
»Möchten Sie die junge Dame jetzt sehen, Euer Gnaden?«
»Ich brenne darauf, Ma'am.«
»Dann kommen Sie bitte hier entlang, Sir.« Elizabeth führte ihren Gast hinaus. Es war Abend, und das Haus erwachte inzwischen zum Leben. Zwei junge Frauen in Spitzennegliges schlenderten gelassen den Korridor hinunter. Sie grüßten die Hausherrin respektvoll, die sie mit einem Lächeln bedachte, bevor sie weitereilte.
Ein Lakai, der ein Tablett mit Champagner, zwei Gläsern und einer Schale mit Austern trug, klopfte an eine Tür am Ende des Korridors.
»Der Abend fängt früh an«, bemerkte der Herzog.
»Das ist häufig der Fall, Mylord«, klärte Elizabeth ihn geduldig auf.
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