Wilde Chrysantheme
unverzüglich Seine Gnaden ins Bild setzen musste.
Er näherte sich der erhabenen Gestalt von Catlett, der am Kopfende des langen Tisches saß, von seinem Ale trank und mit kritischem Blick die Schüsseln begutachtete, die der Stiefeljunge vor ihn hinstellte. Dem Jungen lief das Wasser im Mund zusammen, als er beobachtete, wie die Speisen den Tisch hinuntergereicht wurden. Er und die Küchenmagd würden warten müssen, bis alle gegessen hatten, bevor man ihnen erlaubte, die Reste zusammenzukratzen, um ihren eigenen Hunger zu stillen.
»Na, John, wie geht's dir denn so an diesem prächtigen Morgen?« fragte Catlett leutselig, als er ein Stück Nierenpudding mit seiner Messerspitze aufspießte.
»Ich hätte gern ein Wort unter vier Augen mit Ihnen gesprochen, wenn Sie so nett wären, Mr. Catlett.« Der Kutscher drehte nervös seinen Hut zwischen den Händen, und seine Augen waren von Besorgnis erfüllt.
»Was, jetzt? Mitten in meinem Frühstück?«
»Es ist sehr dringend, Mr. Catlett. Es geht um Ihre Ladyschaft und Seine Gnaden.«
Gereizt schob Catlett seinen Stuhl zurück. »Na schön, dann komm am besten mit in die Spülküche. He, du, Bursche! Stell meinen Teller auf den Herd, damit das Essen warm bleibt. Ich zieh' dir die Ohren lang, wenn es auch nur eine Idee weniger heiß ist als jetzt.«
Er wischte sich den Mund mit einer Serviette ab und ging in die Spülküche voraus. »Also, was gibt's?«
Beim Zuhören weiteten sich seine Augen überrascht, als der Kutscher von den Ereignissen der Nacht berichtete und von Lady Edgecombes seltsamem Verschwinden.
»Als Hure verhaftet?« Catlett schüttelte ungläubig den Kopf. »Aber wie konnte das geschehen?«
»Keine Ahnung. Schätze, es war ein Irrtum. Sie ging los, um ihren Fächer zu holen, und geriet in den Krawall hinein.« Der Butler schnippte mit den Fingern.
»Sir John würde Lady Edgecombe nicht nach Tothill Bridewell schicken«, erklärte Catlett. »Also hat sie ihm offenbar nicht gesagt, wer sie ist.«
»Stimmt. Aber warum nicht?«
»Es steht uns nicht zu, das zu fragen«, erklärte Catlett würdevoll. »Aber Seine Gnaden muß unverzüglich davon erfahren. Du kommst am besten mit mir zu seinem Schlafgemach. Er ist erst vor ein paar Stunden zurückgekommen.«
Der Kutscher folgte Catlett in den vorderen Teil des Hauses und die Treppe hinauf. Ein Stubenmädchen, das damit beschäftigt war, das Treppengeländer zu wachsen, warf ihnen einen neugierigen Blick zu und senkte dann hastig die Augen, als Catlett ihr eine Ohrfeige versetzte. »Hast du nichts Besseres zu tun, Mädchen, als deine Vorgesetzten anzugaffen?«
»Ja, Sir… Mr. Catlett… nein, Sir«, murmelte sie.
Draußen vor dem Schlafgemach des Herzogs sagte Catlett: »Warte hier.« Behutsam öffnete er die Tür und betrat das abgedunkelte Zimmer. Die schweren Vorhänge um das Bett herum waren zugezogen. Er hob sie ein Stück beiseite und hüstelte vernehmlich.
Der Herzog schien tief zu schlafen, einen Arm über den Kopf geworfen; sein Gesicht wirkte im Schlaf seltsam jung, sein Mund war entspannt, fast zu einem Lächeln verzogen.
Catlett hüstelte noch einmal, und als das Geräusch keinerlei Ergebnis zeitigte, machte er sich daran, die Vorhänge vor dem Fenster aufzuziehen, um den Raum in helles Licht zu tauchen.
»Was zum Teufel…?« Tarquin öffnete verschlafen die Augen.
»Ich bitte um Verzeihung, Mylord, aber es handelt sich um eine Sache von Dringlichkeit!« Catlett bewegte sich geschmeidig zum Bett zurück.
Tarquin stützte sich auf einen Ellenbogen und blickte den Mann blinzelnd an. »Warum wecken Sie mich, Catlett, und nicht meinen Kammerdiener?«
Catlett räusperte sich. »Unter Umständen, Mylord, ist es Ihnen lieber, wenn so wenig Leute wie möglich über die fragliche Angelegenheit informiert sind.«
Tarquin setzte sich auf, mit einem Schlag hellwach. Sein Blick schweifte zu dem Kleiderschrank und seiner Geheimtür.
Juliana.
Sie war noch nicht zurückgekehrt, als er vor ein paar Stunden hier eintraf, aber er hatte sich nichts weiter dabei gedacht, da sie mit seinem eigenen Kutscher unterwegs war und in Begleitung der furchteinflößenden und absolut respektablen Lady Bowen.
»Berichten Sie!«
»Der Kutscher wartet draußen, Euer Gnaden. Es ist wahrscheinlich am besten, wenn er Ihnen die Geschichte persönlich erzählt.« Catlett verbeugte sich.
»Holen Sie ihn herein!«
Sichtlich zitternd näherte sich der Kutscher dem Bett des Herzogs. Er drehte noch immer nervös seinen
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