Wilde Chrysantheme
Was hier im Raum passiert, wenn ihr für die Nacht eingeschlossen seid, geht mich nichts an.« Er trat auf Juliana und ihre Gefährtinnen zu und zerschnitt ihre Fesseln mit seinem Messer. »Jetzt macht euch an die Arbeit. Die drei Stümpfe da drüben.« Er zeigte auf drei unbesetzte Arbeitsplätze, auf deren glatter Fläche die massiven Holzhämmer lagen.
Maggie folgte ihnen und stand dann da, die Hände in die Hüften gestemmt, als der Wärter drei dicke Hanfstränge aus einem Korb an der Wand nahm und sie auf die Klötze warf. Die Frau packte Rosamunds zitternde Hand und musterte sie mit Kennermiene. »Die hier wird nicht lange durchhalten«, stellte sie fest, als sie die kleine weiße Hand in ihrer schmutzverkrusteten, blutbeschmierten Handfläche umdrehte. »Ich geb' dir eine Stunde, und deine Hände werden so stark bluten, daß du's nicht mehr ertragen kannst, den Hammer zu halten.« Wieder stieß sie ihr meckerndes Lachen aus, und der Raum hallte von dem prustenden Gekicher der anderen wider, die eine Arbeitspause eingelegt hatten, um die Einführung zu beobachten.
Der Aufseher grinste. »Tja, wer nicht arbeiten will, geht an den Pranger.«
Rosamund war regelrecht gelähmt vor Angst und weinte jetzt so heftig, daß sie die Situation überhaupt nicht erfassen konnte – aber Juliana und Lilly blickten beide in die Richtung, in die der Finger des Mannes wies. Ein Wandpranger, dessen Löcher hoch genug waren, um das Opfer zu zwingen, auf den Zehenspitzen zu stehen, die Schultern mit einer Zentnerlast beschwert. Über dem Pranger stand die Inschrift:
Lieber arbeiten als hängen.
Juliana griff nach dem Hammer und ließ ihn mit kraftvollem Schwung auf den Hanf niedersausen. Das Gewicht des Hammers erstaunte sie, doch von irgendeiner Wirkung des Schlages auf den Hanf war nichts zu erkennen. Die Stränge mussten kräftig flachgeklopft werden, bis sich die weichen Fasern im Inneren spalteten und aus der dicken, zähfaserigen Umhüllung gelöst werden konnten. Nach nur drei Hammerschlägen schmerzten bereits ihre Gelenke, die Haut in ihren Handflächen begann zu brennen, und ihre Anstrengungen hatten nicht mehr bewirkt, als daß die Hanfstränge eine Idee flacher geworden waren. Sie warf einen Blick auf Rosamund, die in Tränen aufgelöst war und ihren Hammer mit schwachen, kraftlosen Bewegungen vergebens auf den Hanf fallen ließ. Lilly, kalkweiß im Gesicht und mit schmalen, zusammengepreßten Lippen, schwang ihren Hammer über die Schulter und ließ ihn mit resoluter Gewalt herniederkrachen. Innerhalb kürzester Zeit wird sie erschöpft sein, dachte Juliana besorgt. Und wenn sie erschöpft ist, wird sie nicht weiterarbeiten können.
Wieder blickte sie auf Rosamunds Hanf, dann griff sie hastig nach ihrem eigenen, halb aufgeplatzten Strang und vertauschte ihn mit Rosamunds noch kaum berührtem. Lilly nickte ihr anerkennend zu und flüsterte: »Wenn wir uns ihre Arbeit teilen, müßten wir es eigentlich schaffen, daß sie durchhält.«
»He, ihr da drüben, hört auf zu schwatzen!« Der Aufseher kam rutenschwingend auf sie zu. »Mit Privatgesprächen ist es vorbei. Ihr habt sechs von den Strängen bis zum Mittag fertig, sonst findet ihr euch am Schandpfahl wieder.«
Eine dumpfe Verzweiflung bemächtigte sich Julianas. Sie sah keinen Ausweg mehr. Es gab niemanden, an den sie sich um Hilfe hätte wenden können. Sie waren in diesem stinkenden Loch eingesperrt, so fernab von der Zivilisation, daß sie ebensogut völlig vom Erdboden hätten verschwinden können, ohne daß die Außenwelt je davon erfahren würde. Aber es musste sich doch irgend jemand fragen, wo sie war. Der Kutscher würde nach ihr suchen. Man fand doch sicher heraus, was passiert war, oder?
Andererseits, warum sollten sie etwas unternehmen, um ihr zu helfen? Welches Recht hatte sie überhaupt, Hilfe zu erwarten? Der Herzog würde wahrscheinlich denken, daß ihr ganz recht geschah. Um ihre Feilassung zu bewirken, würde er seine Beziehung zu einer verurteilten Hure in einer Besserungsanstalt aufdecken müssen. Und sie konnte sich nicht vorstellen, warum ein Mensch, von dem Herzog von Redmayne ganz zu schweigen, dazu bereit sein sollte.
Außer natürlich, um seine Kapitalanlage zu schützen! Wütend schwang Juliana den Hammer, und sie ignorierte den Schmerz in ihren Händen, ignorierte die Blutstropfen, die auf den Baumstumpf zu fallen begannen und den Stiel des Hammers schlüpfrig machten. Sie begrüßte den neuerwachten Zorn, denn er besiegte die
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