Wilde Chrysantheme
Quentins Einwand durchaus berechtigt war. Dann kletterte der Herzog hastig in den wartenden Phaeton, gefolgt von seinem Bruder.
Quentin spürte, wie Tarquin sich zusammenriß, als er nach den Zügeln griff. Er musterte das Profil seines Bruders und sah, daß jegliche Gefühlsregung aus seinem Ausdruck verschwunden war. Doch Quentin ließ sich von diesem scheinbar gefaßten Äußeren nicht täuschen. Schon seit geraumer Zeit war er davon überzeugt, daß sich hinter der amüsierten Zuneigung, die Tarquin gegenüber seiner
Mignonne
an den Tag legte, sehr viel tiefere Empfindungen verbargen.
Tarquin trieb seine Pferde zu einem schnellen Trab an. Es war der einzige Hinweis auf seine innere Unruhe und Beklommenheit, während er sich angestrengt bemühte, die Bilder dessen zu verdrängen, was Juliana in diesem Moment durchmachen mochte. Sie war so widerspenstig, so kühn und herausfordernd, daß es nicht lange dauern konnte, bis sie die Gefängniswärter dazu provozieren würde, sie seelisch zu brechen und zu zerstören. Mit ihren primitiven, aber um so wirksameren Methoden erreichten sie das bestimmt.
25. Kapitel
Juliana stolperte unter einem kräftigen Stoß ihres Bewachers vorwärts durch eine Türöffnung und in einen langen, schmalen, schmutzigen Raum hinein. Eine mit schweren Eisenstäben vergitterte Tür fiel hinter ihr ins Schloß. Wenige Minuten zuvor war der Karren in einen stinkenden Hof gefahren, umgeben von einer hohen Mauer. Die drei Frauen waren von zwei Aufsehern, die Ruten schwangen, auf das Kopfsteinpflaster gezerrt und dann wie Vieh in das niedrige Gebäude getrieben worden. Rosamund stolperte über eine unebene Steinplatte und fiel, da sie sich mit ihren gefesselten Händen nicht helfen konnte, hart auf die Knie. Einer der Gefängnisaufseher ließ prompt seine Rute auf ihre Schultern niedersausen und verfluchte sie wüst. Erbärmlich schluchzend schaffte sie es schließlich, sich wieder aufzurichten und weiterzuschwanken.
Jetzt sahen sich die drei Frauen mit ihren gefesselten Händen einem Meer von feindseligen, raubtierhaften Augen gegenüber, als die anderen Insassinnen in dem schwach erhellten Raum die Neuankömmlinge anstarrten und hungrig die Qualität ihrer Kleider abschätzten. Die Wände bestanden aus unverputztem Backstein, speckig und schleimig von Feuchtigkeitsabsonderungen; die Luft roch faulig und verbraucht; das einzige Licht kam von einem winzigen Fenster in der gegenüberliegenden Wand, hoch oben unter den Dachbalken. Viel zu hoch, um es vom Boden aus zu erreichen, und so klein, daß nicht einmal ein Kind hindurchgepaßt hätte.
Die Frauen, die zum größten Teil nur in zerlumpte Unterröcke, grobe Strümpfe und Holzpantinen gekleidet waren, standen vor einer Reihe massiver Baumstümpfe und bearbeiteten Stränge von Hanf mit schweren Holzhämmern. Juliana sah zu ihrem Schrecken, daß mehrere der Frauen Fußeisen trugen und mit Ketten an die Klötze gefesselt waren. Eine Frau mit einer aufgeschlitzten Nase lachte meckernd, als Rosamund ein leises Stöhnen von sich gab und ins Straucheln geriet.
»Seid wohl zum ersten Mal hier, was, ihr Süßen?« Sie ließ ihren Holzhammer fallen und kam auf sie zu. Ihre Hände waren wundgescheuert und bluteten von dem Hanf. Juliana fragte sich, mit welchem Verbrechen sie sich wohl die aufgeschlitzte Nase eingehandelt haben mochte, noch während sie vor der unmißverständlichen Bösartigkeit in den Augen der Frau zurückwich. Diese streckte die Hand nach Rosamunds elegantem Musselinhalstuch aus. »Feine Sachen hast du da. Werden ein hübsches Sümmchen einbringen, darauf wette ich.«
»Laß sie in Ruhe«, fauchte Juliana.
Die Augen der Frau verengten sich gefährlich, und sie riß der zitternden Rosamund das Tuch vom Hals. »Ich werd' mir ihre Klamotten nehmen, ob's dir paßt oder nicht, Mädchen, und deine nehm' ich mir auch! Sobald wir für heute mit der Arbeit fertig sind. Und wenn du nicht die Klappe hältst, dann ziehen wir dich nackt aus. Wir hier drinnen wissen, wie man einen stolzen Geist zähmt, verlaß dich drauf. Stimmt's, Mädels?«
Ein Chor von Zustimmung ertönte, und die Augen schienen noch näher zu kommen, obwohl die Anwesenden auf ihren Plätzen blieben. Juliana wandte sich unwillkürlich zu dem Gefangenenaufseher um, als suchte sie bei ihm Schutz.
Der Mann lachte dreckig. »Sei lieber friedlich und ärgere Maggie nicht. Sie wird dir die Augen auskratzen, wenn du sie nur schief anguckst. Und hier drinnen hat
sie
das Sagen.
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