Wilde Chrysantheme
Sie mir, ich weiß, wovon ich spreche… Oh, da ist Lord Farquar!« Mit einem kleinen Gurren des Entzückens, das geheuchelt sein konnte oder auch nicht, hastete Emma durch den Raum auf einen ältlichen Mann in einem scharlachroten, mit Tabakkrümeln übersäten Gehrock zu.
Fünf Minuten später kündigte Garston den Herzog von Redmayne an. Julianas Magen zog sich zu einem Knoten zusammen, sie wandte sich hastig von dem Geschehen im Salon ab und starrte hinaus auf die im Dämmerlicht versinkende Russell Street.
Tarquin blieb einen Moment lang in der Tür stehen und nahm gelassen eine Prise Schnupftabak. Sein Blick schweifte suchend durch den Raum und blieb schließlich auf der stillen Gestalt am Fenster haften. Ihr Haar schimmerte kupfern im Licht der untergehenden Sonne. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, da sie ihm den Rücken zukehrte, aber die Haltung der schlanken weißen Schultern strahlte eine gewisse Steifheit und Unbeugsamkeit aus. Noch während er Juliana beobachtete, löste sich eine Ringellocke aus ihren Nadeln und glitt in einer seidigen Kaskade an dem schlanken, gebogenen Hals hinunter. Juliana rührte sich nicht.
Schließlich schlenderte Tarquin durch den Salon zu seiner Gastgeberin. »Elizabeth, charmant wie immer!« Er beugte sich über ihre Hand. »Und die Damen… eine bezaubernder als die andere. Eine wahre Augenweide.« Er hob sein Monokel und musterte die anwesenden Mädchen, die anmutig knicksten, als sein Blick über sie hinwegschweifte.
Elizabeth blickte demonstrativ über ihre Schulter zu Juliana hinüber, bevor sie sich wieder dem Herzog zuwandte und fragend eine Braue hochzog. Seine Gnaden schüttelte den Kopf und setzte sich neben sie auf das Sofa. »Lassen Sie sie einstweilen in Ruhe.«
»Sie ist so halsstarrig wie eh und je, Euer Gnaden«, bemerkte Elizabeth mit gedämpfter Stimme, als sie ihm eine Tasse Tee reichte.
»Aber ich sehe, daß Sie sie überredet haben, sich anzukleiden und in den Salon herunterzukommen.«
»Es war mit einigen Schwierigkeiten verbunden.«
»Hmmm.« Der Herzog trank einen Schluck Tee. »Sie waren gezwungen, Druck auf sie auszuüben?«
»Sagen wir lieber, ich musste ihr erst den wirklichen Sachverhalt ihrer Situation begreiflich machen.«
Der Herzog nickte. »Nun, ich bin froh, daß sie nicht so dumm ist, die Tatsachen zu ignorieren.«
»Oh, ich glaube nicht, daß Miss Juliana auch nur andeutungsweise dumm ist«, erklärte Mistress Dennison. »Sie hat eine Zunge, so scharf wie ein Rasiermesser.«
Der Herzog lächelte und setzte seine Tasse auf dem Tisch ab. »Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen, Madam. Ich möchte Ihren Schützling begrüßen.« Er erhob sich und bewegte sich lässigen Schrittes in Richtung Fenster.
Juliana spürte, wie er sich ihr näherte. Ein Prickeln lief über ihr Rückgrat. Eine dicke Haarsträhne löste sich aus ihrem Knoten, machte sich selbständig und ihre Hände bewegten sich automatisch zu ihrem Kopf.
»Gestatten Sie!« Seine Stimme an ihrer Schulter klang tief und samtig, und obwohl sie auf seine Begrüßung gefaßt gewesen war, zuckte sie sichtlich zusammen. »Habe ich Sie erschreckt?« erkundigte sich Tarquin sanft. »Seltsam… ich hätte schwören können, daß Sie meine Ankunft bemerkt hatten.« Er schob behutsam ihre Hände weg und machte sich an ihrem Haar zu schaffen.
Juliana brauchte einen Moment, um zu begreifen, daß er dabei war, die Nadeln aus ihrem Knoten zu ziehen. »Nein!« rief sie zornig und griff nach seinen Händen. »Ich will es nicht offen tragen.«
»Ihr Haar scheint aber eine andere Vorstellung zu haben«, erwiderte er, während er ihre beiden Handgelenke mit einer Hand festhielt. »Es muß tatsächlich seinen eigenen Willen besitzen, meine liebe Juliana.« Seine freie Hand setzte ihre Tätigkeit fort, und gleich darauf floß die seidige Masse feuerroter Locken auf ihre Schultern herab. »So, das hätten wir. Ich muß sagen, ich finde diese Frisur unendlich viel reizvoller.«
»Es interessiert mich nicht im geringsten, was Sie reizvoll finden, Mylord.« Sie zerrte an ihren Handgelenken, und er gab sie augenblicklich frei.
»Oh, daran wird sich hoffentlich bald etwas ändern«, erwiderte er lächelnd, als er seine Hände auf ihre Schultern legte und sie zu sich herumdrehte. »Im Moment sehen Sie aus, als wären Sie bereit, mir einen Dolch ins Herz zu stoßen!«
»Ich würde ihn liebend gerne wie einen Korkenzieher in Ihren Eingeweiden herumdrehen«, erklärte Juliana mit grimmiger
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