Wilde Chrysantheme
der Türklopfer, und eine Gruppe von sechs Gentlemen wurde hereingeführt. Juliana wich noch ein wenig tiefer in den Schatten des Vorhangs zurück, um die Szene aus sicherer Entfernung zu beobachten, während sie nervös einige Löckchen in ihre Nadeln zurückschob. Einer der Neuankömmlinge entdeckte sie auf Anhieb und beugte sich vor, um etwas zu Mistress Dennison zu sagen. Juliana hörte ganz deutlich die Worte »Seine Gnaden, der Herzog von Redmayne« aus Elizabeths Erwiderung heraus. Dann wandte sich Elizabeth mit einem Lächeln in ihre Richtung und winkte sie zu sich.
»Juliana, Viscount Amberstock möchte gern Ihre Bekanntschaft machen.«
Es schien, als hätte sie kaum eine andere Wahl, als dem Wunsch nachzukommen. Widerstrebend löste sich Juliana aus dem Halbdunkel der Fensternische und durchquerte den Raum mit winzigen Schritten. Sie fühlte sich so unsicher auf den hohen Stöckelabsätzen wie ein Baby, das gerade laufen lernt.
»Redmayne ist wirklich ein Glückspilz«, erklärte der Viscount mit dröhnender Stimme. Er ergriff Julianas Hand und führte sie an seine Lippen, als er sich mit elegantem Schwung vor ihr verbeugte. Juliana knickste schweigend und wich seinem forschenden Blick aus. »Großer Gott, Madam, ist das Frauenzimmer zu schüchtern, um zu sprechen?« erkundigte sich der Viscount bei seiner Gastgeberin.
»Ganz im Gegenteil«, erwiderte Elizabeth gelassen. »Juliana hat eine gewandte Zunge und kann äußerst schlagfertig sein, wenn es ihr gefällt.«
»Aber ihre Zunge gehört Redmayne, wie?« Der Viscount lachte schallend über seine gewagte Bemerkung. »Tja, nun, der Rest von uns kann nichts tun, als sich nach einem solchen Prachtstück zu verzehren.« Er gab Julianas Hand frei. Sie knickste höflich und kehrte eilig zu ihrem Platz am Fenster zurück.
»Sie werden Mistress Dennison verärgern, wenn Sie sich weiterhin auf diese Weise von den anderen absondern.« Emma sprach gedämpft, als sie, eingehüllt in eine Wolke von rosa Taft und Tüll, mit zierlichen Schritten auf Juliana zuschwebte.
»Das ist mir völlig gleichgültig.«
»Glauben Sie mir, es wird Ihnen nicht mehr gleichgültig sein, wenn die Dennisons ernsthaft wütend auf Sie werden«, erwiderte Emma stirnrunzelnd. »Sie kümmern sich zuverlässig um uns, aber als Gegenleistung erwarten sie unsere Mitarbeit. Ich finde nicht, daß das zuviel verlangt ist.«
Juliana begegnete Emmas prüfendem Blick und entdeckte in den dunkelbraunen Augen der jungen Frau sowohl Neugier als auch Hilfsbereitschaft. «Aber ich bin gegen meinen Willen hier«, erklärte Juliana. »Da besteht wirklich kein Grund, warum ich mitmachen sollte. Ich möchte ganz einfach wieder gehen dürfen, das ist alles.«
»Aber, meine Liebe, Sie wissen ja nicht, was Sie da sagen!« protestierte Emma. »Dort draußen tummeln sich üble Puffmütter und Zuhälter, die Ihnen jeden Pfennig abknöpfen, den Sie verdienen, bloß für das Recht, Ihr Gewerbe in einer schäbigen Bruchbude am Marktplatz auszuüben. Sie berechnen fünf Schilling für ein gebrauchtes Kleid und einen Schal, und sie werden Ihnen den letzten Blutstropfen aus den Adern quetschen für den Wein und die übrigen alkoholischen Getränke, die Sie für Ihre Freier bereithalten müssen. Wenn Sie sich weigern oder nicht zahlen können, dann werden sie Sie in die Besserungsanstalt stecken oder ins Hofmarschallgefängnis, woraus Sie niemals freikommen!«
Juliana starrte die andere an, entsetzt und fasziniert zugleich. »Aber ich habe nicht die Absicht, eine Dirne zu werden«, sagte sie schließlich. »Weder hier noch sonst irgendwo.«
Emmas Stirnrunzeln vertiefte sich noch. »Aber bleibt für Mädchen wie uns denn etwas anderes übrig?« Sie wies mit einer Geste in den Raum. »Wir leben hier in Luxus und Sicherheit. Unsere Freier sind Adlige, Männer mit Manieren, verwöhnt, rücksichtsvoll… zum größten Teil jedenfalls«, fügte sie hinzu. »Und wenn Sie Ihre Karten geschickt ausspielen, könnten Sie einen Kandidaten finden, der Sie großzügig als seine Mätresse aushält, Sie gut behandelt und für Ihre Zukunft vorsorgt.«
»Aber ich bin nicht hier, weil ich das
will«,
begann Juliana erneut.
Emma zuckte die Achseln. »Wer von uns ist schon freiwillig hier? Trotzdem wissen wir, daß wir noch von Glück sagen können. Und Sie sollten ebenfalls dankbar für die Möglichkeiten in diesem Haus sein, sonst werden Sie sich bald jede Nacht unter den Büschen im St. James' Park liegend wiederfinden. Glauben
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