Wilde Flammen
er ihr nicht nur den Zirkus, sondern auch eine enorme Verantwortung übertragen hatte. Neue Verträge mussten ausgehandelt werden, Lohnzahlungen kontrolliert und die Route für die kommende Saison festgelegt werden. Mit jedem neuen Tag wurde der Papierstapel auf Jos kleinem Schreibtisch gröÃer. Letztendlich war ihr gar nichts anderes übrig geblieben, als sich auf Duffys Hilfe und Erfahrung zu verlassen.
Nach Saisonende hatte sie Dutzende Male Keanes Telefonnummer gewählt. Doch bevor die Verbindung zustande kam, hatte sie jedes Mal hastig wieder aufgelegt. Irgendwann war ihr schlieÃlich klar geworden, dass kein Weg daran vorbeiführte: Sie musste nach Chicago reisen und persönlich mit ihm sprechen. Falls er überhaupt noch mit ihr sprechen wollte â¦
Der Flug hatte sich allerdings um ein paar Wochen verschoben, da der Zirkus ein ganz besonderes Fest zu feiern hatte. Rose und Jamie hatten endlich zueinandergefunden. Und diese Hochzeit wollte Jo unter keinen Umständen verpassen.
Während sie als Brautjungfer neben Rose stand, war Jo plötzlich klar geworden, was sie zu tun hatte. Es gab nur eines, was sie sich wirklich wünschte. Und das war, mit Keane zusammen zu sein. Während sie aufmerksam lauschte, wie Jamie und Rose ihre Gelübde ablegten, fasste sie einen Entschluss: Sie würde um den Mann, den sie liebte, kämpfen!
Tausende von Meilen entfernt von ihm hatte sie sich die Frage gestellt, ob sie auf immer beim Zirkus bleiben wollte. Die Antwort hatte Nein gelautet. Mit klopfendem Herzen hatte sie in Gedanken einen Plan ausgearbeitet. Sie würde nach Chicago fliegen, zu Keane. Sie würde sich nicht von ihm abweisen lassen. Einst hatte er sie gewollt, sie würde ihn dazu bringen, sie wieder zu wollen.
Und so saà sie also nun hier in einem Taxi, zitternd vor Kälte, und lieà sich durch die Stadt fahren. Mit klammen Fingern zog sie den Zettel mit Keanes Adresse aus der Tasche. Was, wenn er gar nicht zu Hause war? Vielleicht war er ja nach Europa oder Japan oder Kalifornien geflogen. Die Panik lieà sie schwindeln. Er musste einfach zu Hause sein. Es war Sonntag. Er las bestimmt die Zeitung. Oder saà brütend über einem Fall.
Oder verbrachte Zeit mit einer Frau.
Ich sollte den Fahrer anhalten lassen und vorher anrufen. Oder mich am besten gleich wieder zurück zum Flughafen bringen lassen.
Für einen Moment schloss Jo die Augen und kämpfte um Gelassenheit und Ruhe. Holte tief Luft und zwang sich, bewusst regelmäÃig zu atmen. Sie konzentrierte sich auf die vorbeigleitenden Gebäude und die Menschen auf den Bürgersteigen. Und langsam, Stück für Stück, lieà die Panikattacke nach.
Ich werde keine Angst haben, wiederholte sie immer wieder und versuchte, auch wirklich daran zu glauben. Doch Jolivette, die Frau, die zwölf gefährliche Raubtiere beherrschte, hatte unendliche Angst. Wenn er sie nun zurückstie� Nein, das würde sie ihm nicht gestatten. Unwillkürlich richtete sie sich auf. Ich werde ihn verführen.
Bei dem Gedanken presste sie die Finger an die Schläfen. Sie hatte ja nicht die geringste Ahnung, wie man so etwas anging. Sie würde dem Fahrer sagen, dass er sie zum Flughafen zurückbringen sollte.
Doch bevor sie die Worte aussprechen konnte, fuhr der Wagen auch schon rechts heran und bremste ab. Jo zahlte den Fahrpreis. Aufgeregt, wie sie war, gab sie ein viel zu groÃzügiges Trinkgeld. Der Fahrer lächelte erfreut, und sie stieg mit zitternden Knien aus dem Taxi.
Der Wagen war längst weitergefahren, doch Jo stand noch immer ehrfurchtsvoll staunend vor dem hohen Gebäude. Schneeflocken wirbelten um sie herum, setzten sich auf ihre Schultern, legten sich auf ihr Haar. Ein vorbeihastender FuÃgänger, der sie leicht anrempelte, brach schlieÃlich den Bann. Sie atmete tief durch, nahm ihren Koffer und betrat das Gebäude.
Allein die Lobby war riesig. Rauchglasfenster und ein dezenter Teppich schufen eine elegante Atmosphäre. Unsicher, ob man sich grundsätzlich an der Rezeption anmelden musste, mied sie den Blick des Portiers und ging auf den Aufzug zu. Niemand hielt sie auf, auch nicht das Paar, das aus dem Lift stieg. Ihre Finger zitterten, als sie den Knopf für die Penthouse-Etage drückte.
Geräuschlos brachte der Lift sie ins oberste Stockwerk. Die Türen glitten auf, und Jo starrte sekundenlang in den mit Teppich ausgelegten breiten Flur.
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