Wilde Magie - Wilde Magie - Fever / Wild Rain
verletzt hatte, war Rio der letzte Satz beinahe unabsichtlich zwischen seinen kräftigen Zähnen herausgerutscht. Sie spürte, dass er kurz davor stand, ihr etwas sehr Wichtiges anzuvertrauen.
Rio schaute sie an. »Ich glaube, er ist hinter einem von uns her gewesen. Ich bin mir nur nicht ganz sicher, hinter wem. Zuerst dachte ich, er mache Jagd auf mich, aber nun habe ich meine Zweifel.«
Rachael hörte ihr Herz klopfen und zählte die Schläge. Das war ein Trick, den sie oft angewandt hatte, wenn sie in gefährlichen Situationen ruhig wirken wollte oder wenn sie noch mehr erfahren musste, um nicht vorschnell zu handeln. Als Rio seinen direkten, durchdringenden Blick auf sie richtete, wurde es in ihr ganz still. Seine Augen hatten etwas, das sie nicht genau bestimmen konnte. Sie wirkten wie eine wilde, gefährliche Mischung aus Mensch und Tier. Rachael wusste, dass Katzenaugen hinter der Netzhaut eine lichtreflektierende Schicht hatten, die es ihnen ermöglichte, noch in der dunkelsten Nacht und im dunkelsten Wald alles vorhandene Licht zu bündeln. Diese Membran wird tapetum lucidum genannt und funktioniert wie ein Spiegel, sie wirft das Licht durch die Retina ein zweites Mal zurück, um eine möglichst gute Nachtsicht zu erhalten. Außerdem reflektiert sie das Licht in phosphoreszierendem Gelb-grün und Rot. Die glühenden Augen waren ihr sowohl an Rio wie auch an den Nebelpardern aufgefallen.
»Warum sollte der Leopard es auf jemand Bestimmten von uns abgesehen haben, Rio?«, wollte Rachael wissen. Einem Raubtier wäre es schließlich egal, wen von beiden es auffraß.
Eine lange Stille entstand, die abgesehen vom Seufzen des Windes und dem gleichmäßigen Tropfen des Regens nur von Franz unterbrochen wurde, der unruhig hin- und hertigerte. Bestimmt konnte Rio ihr Herz klopfen hören.
»Ich glaube, das war kein Leopard, wie du ihn kennst. Meiner Meinung nach stammt er von einer völlig anderen Rasse.« Rios Stimme war wie die Nacht, voller Andeutungen und Geheimnisse, die sie lieber nicht näher erkunden wollte.
Rachael verkniff sich den Einwand, der ihr auf der Zunge lag. Rio hatte ganz sicher nichts fürs Melodramatische übrig. Wahrscheinlich war er zu Übertreibungen nicht einmal fähig. »Entschuldige, aber ich verstehe nicht ganz, was du mir sagen willst. Meinst du, dass es hier im Regenwald eine neue Art von Leoparden gibt, die noch nicht entdeckt worden ist? Oder geht es um eine genetisch veränderte Spezies?«
»Diese Spezies gibt es schon seit Jahrtausenden.«
Rachael kraulte dem Nebelparder die Ohren. »Und was ist an ihr so anders?«
Da richtete Rio seine seltsamen Augen wieder ganz auf sie. »Alle, die ihr angehören, sind weder Mensch noch Tier. Sie sind beides und nichts von beidem.«
Rachael wurde ganz still, riss sich nur von seinem herrischen Blick los. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. »Vor langer Zeit, als ich noch klein war, hat meine Mutter mir immer Geschichten über eine besondere Art von Leoparden erzählt. Also, eigentlich nicht von Leoparden, sondern von Menschen, die sich in Leoparden oder Großkatzen verwandeln können. Sie verfügten über einige Eigenschaften von Leoparden, aber auch über menschliche und dazu noch ein paar ihrer eigenen Rasse,
sie waren so etwas wie Mischwesen. Bis heute habe ich nie wieder irgendjemanden davon reden hören. Ist es das, was du meinst?«
Es gab kaum etwas, was Rio noch erschüttern konnte, doch nun war er mitten in der Bewegung erstarrt und schaute sie entgeistert an. »Woher kannte deine Mutter die Leopardenmenschen? Außerhalb der Spezies wissen nur wenige von ihrer Existenz.«
»Weißt du, was du da sagst, Rio? Dass es so eine Spezies tatsächlich gibt. Ich habe das bloß für eine Art Märchen gehalten, wie sie meine Mutter sich eben gerne zur Nacht ausdachte, wenn wir allein waren. Sie hat mir immer Geschichten von den Leopardenmenschen erzählt, wenn sie mich ins Bett gebracht hat.« Sie legte die Stirn in Falten und versuchte angestrengt, sich an die alten Geschichten aus ihrer Kindheit zu erinnern. »Sie hat sie aber nicht Leopardenmenschen genannt, es gab da einen anderen Namen.«
Rio verkrampfte sich und sah Rachael mit funkelnden Augen an. »Wie lautete der Name?«
Doch so sehr Rachael sich auch bemühte, er wollte ihr nicht mehr einfallen. »Ich war noch ein Kind, Rio. Ich war ein kleines Mädchen, als sie starb, und …« Achselzuckend brach sie den Satz ab. »Spielt ja keine Rolle. Willst du etwa behaupten,
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