Wilde Pferde in Gefahr
dafür zu kennen. Aus dem Dickicht waren zwei junge Indianer getreten und hatten sie gebeten, den heiligen Berg ihres Volkes zu verlassen. Später hatte sie erfahren, dass der kuppelförmige Berg, vor dem Dusty gescheut hatte, Bear Mountain hieß und ein heiliger Berg der Lakota- und Cheyenne-Indianer war. Dorthin waren sie schon zu Sitting Bulls und Crazy Horse’ Zeiten zum Beten und Fasten gegangen.
»Was hast du denn, Dusty?«, fragte sie nervös. »Ein Berglöwe?«
Das Pferd schüttelte den Kopf und schnaubte laut, doch diesmal klang es erfreut, beinahe begeistert. Während der langen Zeit, die Peggy mit ihm zusammen war, hatte sie gelernt, jede seiner Äußerungen zu deuten. Die Art, wie er schnaubte, die Ohren aufstellte oder den Kopf bewegte, hatte immer eine bestimmte Bedeutung.
»Mustangs!«, rief sie, noch bevor der Hufschlag erklang.
Im nächsten Augenblick hallte der Canyon vom Trommeln unzähliger Hufe wider. Aus einer dichten Staubwolke, die am Ende der Schlucht aufwallte, galoppierten ungefähr zwanzig Mustangs, angeführt voneiner rassigen Stute, deren Fell selbst im fahlen Licht dieses Morgens verführerisch glänzte. Am Schluss der Herde lief der Hengst, ein schneeweißer Prachtkerl mit ausgeprägten Muskeln und dem protzigen Gehabe eines Anführers, der stolz auf seinen großen Harem war. Er beschützte die Stuten vor möglichen Feinden, deshalb lief er am Ende.
Sein warnendes Schnauben zeigte an, dass er Peggy und Dusty gewittert hatte. Er zögerte kaum merklich, schien zu merken, dass ihm von dem Zweibeiner und dem gezähmten Artgenossen keine Gefahr drohte, und gab den Stuten durch ein kräftiges Schnauben zu verstehen, etwas schneller zu laufen. Mit donnernden Hufen sprengten sie durch den Canyon, jedes der Tiere ein Symbol für Kraft, Ausdauer und pure Energie, stolze und ungebundene Wesen, die keinen Sattel und kein Zaumzeug kannten und niemals eine Peitsche gespürt hatten. Jeder Muskel zeichnete sich deutlich unter dem glänzenden Fell ab, es gab keine Anzeichen für Müßiggang und nur wenige solcher Narben, wie die des Hengstes, die er sich bei einem Kampf zugezogen haben musste.
Peggy beobachtete die Herde mit großen Augen und klopfendem Herzen. Was für ein Anblick! Wie ein Bild aus längst vergangener Zeit, als Amerika kaum besiedelt gewesen war, und Lakota, Cheyenne und Komantschen die Mustangs der Spanier stahlen und riesige Herden über die Ebenen trieben. Zitternd vorBegeisterung und mit Tränen in den Augen genoss sie den Anblick. Wenn man sie jemals bitten würde, Ungebundenheit und Freiheit zu beschreiben, würde sie versuchen diesen Augenblick zu schildern. Diese wilden Mustangs waren frei, wirklich frei, und erfreuten sich an dem zwanglosen Leben, das der Schöpfer für sie vorgesehen hatte.
Sie blickte den Tieren nach, die seltsamerweise auf das kleine Wäldchen zuhielten, das sich am jenseitigen Ufer des Flusses vor der Felswand erhob. Ihre Begeisterung wich ernsthafter Besorgnis. Was hatten die Mustangs vor? Warum liefen sie nicht zum Ende des Canyons? Gab es noch einen anderen Ausgang aus dieser Schlucht, den sie nicht sah?
Verwundert beobachtete sie, wie die Tiere in das Wäldchen galoppierten. Ohne zu zögern, als würde es die steile Felswand dahinter gar nicht geben. Nicht mal ein nervöses Schnauben war zu hören. Die Herde verschwand wie durch Zauberei aus dem Canyon, lediglich der Hengst blickte sich noch einmal um, bevor er seinen Stuten folgte, als wollte er sichergehen, dass ihnen niemand nachkam. Dann verschwand auch er, der Hufschlag wurde dumpfer und leiser und verebbte schließlich ganz. Nur die Staubwolke in der Schlucht erinnerte an die Tiere.
Ohne weiter zu überlegen, lenkte Peggy ihren Wallach durch den Fluss. Das kühle Wasser spritzte bis zu ihr herauf. Sie beugte sich nach vorn und half Dustydie Uferböschung zu erklimmen, trieb ihn mit einem lauten Schnalzen in die Staubwolke, die immer noch durch den Canyon zog. Etwas unsicher, auf welches Wagnis sie sich wohl einließ, folgte sie den Spuren der Mustangs.
Peggy ließ ihren Wallach langsamer gehen und ritt in das Halbdunkel. Mit eingezogenem Kopf, um nicht von tief hängenden Zweigen aus dem Sattel geworfen zu werden, lenkte sie Dusty ins Ungewisse. In der bedrückenden Stille, die sich nach dem Verschwinden der Mustangs über den Canyon gelegt hatte, klang der Hufschlag ihres Wallachs seltsam laut. Wo waren die Mustangs?
Sie brauchte nicht lange zu suchen. Schon nach wenigen Schritten
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