Wilde Pferde in Gefahr
tat sich vor ihr die dunkle Öffnung eines Tunnels auf, den Wind und Wetter im Laufe vieler Millionen Jahre in die Felswand gegraben hatten. Weit am anderen Ende war der helle Fleck des Ausgangs zu erkennen. Vielleicht das felsige Bett eines prähistorischen Flusses, der schon vor der Ankunft der ersten Indianer durch diese steinerne Röhre geflossen war. Oder das Ergebnis eines Erdbebens, das die Gegend vor langer Zeit erschüttert hatte. Auf jeden Fall aber breit und hoch genug, um eine Herde wilder Mustangs durchzulassen.
Dusty scheute etwas und schnaubte nervös, bewegte sich erst, als Peggy ihn mit den Schenkeln antrieb. »Keine Angst, Dusty!«, rief sie ihm zu. »Der Tunnelist sicher, sonst wären die Mustangs nicht durchgelaufen.« Sie lenkte den Wallach in den Tunnel hinein und blickte staunend auf die Figuren und Symbole, die Menschen vor über tausend Jahren in den grauen Stein gemeißelt haben mussten, so wie in den Nationalparks in Arizona und New Mexico. Mutige Jäger, die noch keine Reittiere besessen hatten und mit Speeren und Steinen auf riesige Tiere losgegangen waren. Auch damals hatte es schon Pferde gegeben, sehr kleine, stämmige Tiere, entfernt mit den Mustangs verwandt, aber vollkommen umgeeignet zum Reiten.
Kaum hatte Peggy ihren Wallach in den Tunnel gelenkt, waren sie von tiefer Dunkelheit umgeben. Die helle Öffnung am anderen Ende war ihr einziger Anhaltspunkt. Es roch nach frischem Pferdedung und den Überresten einiger kleiner Tiere, die in dem Tunnel verendet oder unter den Hufen der Mustangs zu Tode gekommen waren. »Keine Bange, Dusty!«, sagte Peggy. »Gleich haben wir es geschafft!« Ihre Stimme hallte unheimlich von den gewölbten Felswänden zurück.
Der Tunnel war kürzer, als es den Anschein gehabt hatte. Schon nach wenigen Minuten erreichte Peggy den Ausgang und griff ihrem Pferd erstaunt in die Zügel.
»Wow!«, rief sie nur.
Vor ihr lag ein Tal, so eindrucksvoll und schön, wie man sich das Paradies vorstellte. Kniehohes Gras, saftig und grün, das im frischen Wind wogte und die sanftenHügel wie die erstarrten Wellen eines wogenden Ozeans aussehen ließ. Ein silbern glitzernder Bach, der sich in zahlreichen Windungen durch das Tal schlängelte und zwischen den Felsen verschwand. Eingerahmt von glatten Felswänden, die steil emporragten und einen riesigen Kessel formten. Zu den Felsen stieg der Boden an und verlor sich in Geröll und Kies. Farbenprächtige Blumen bildeten bunte Flecken in dem grünen Grasteppich und verbreiteten einen betörenden Duft. Einen anderen Ausgang als den Tunnel schien es nicht zu geben.
Die Mustangs ließen sich durch ihre Anwesenheit nicht stören, weideten in kleinen Gruppen auf der anderen Seite des Tals, wo es mehr Sonne gab. Nur der weiße Hengst hob einmal den Kopf und bewegte die Nüstern, senkte aber gleich wieder den Kopf und zupfte an den feuchten Grashalmen. Eine Stute wieherte leise, stupste ihr zögerndes Fohlen an.
»Peggy Corbett!«, hörte sie eine Stimme sagen.
Sie fuhr erschrocken herum und sah einen Mann im Schatten der Felswand stehen, einen Indianer, wie an seiner Hautfarbe und seinen kurz geschnittenen, rabenschwarzen Haaren unschwer zu erkennen war. Er war ungefähr sechzig und musterte sie aus dunklen Augen. Gekleidet war er wie ein Cowboy: Jeans, Hemd und Reitstiefel. Nur die seltsame Schirmmütze, eine blau-weiß gestreifte, wie sie Eisenbahner trugen, fiel ins Auge.
»Wer sind Sie? Woher kennen Sie meinen Namen?«, fragte Peggy erstaunt.
Der Indianer kam lächelnd näher. »Ich bin Jeremiah Red Legs aus dem Reservat der Paiutes. Jeremiah haben mich die Missionare getauft, bei denen ich aufgewachsen bin. Und Ihren Namen kenne ich vom Rodeo. Ich war in Reno, als Sie beinahe gegen diese Texanerin gewonnen hätten. Wie heißt die Angeberin noch?«
»Dixie Malone.«
»Dixie Malone, genau. Der Name passt zu ihr, nicht wahr?« Er blieb in respektvollem Abstand vor ihr stehen. »Ich hätte Ihnen den Sieg gegönnt, Peggy. Sie sind eine gute Reiterin, aber Sie haben das langsamere Pferd. Wenn Sie wie eine Indianerin reiten würden, hätten Sie mehr Chancen.«
»Und wie reitet eine Indianerin?«
»Sie überlässt es ihrem Pferd, den richtigen Weg zu finden. Sehen Sie sich diese Mustangs an, wie geschmeidig und beweglich sie sind, ihnen könnte bei einem Rodeo keiner das Wasser reichen. Sie würden wie ein Sturmwind um die Tonnen galoppieren. Eine Indianerin weiß das. Sie verschmilzt mit ihrem Pferd, verwächst mit ihm
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