Wilde Rosen: Roman (German Edition)
wollte offenbar andeuten, daß alle anderen Sallys Anwesenheit als pure Platzverschwendung betrachteten. »Aber eins muß Ihnen klar sein.« Lucy senkte die Stimme und sah Sally beunruhigend lange an. »Hüten Sie sich davor, um Ihretwillen, seine Dankbarkeit als irgend etwas anderes zu interpretieren. Er ist ein wunderbarer Mann, das ist nicht zu leugnen.« Sie überholte den Escort, der sich irgendwie wieder vorgemogelt hatte. »Aber selbst wenn er eine Frau wollte – und das will er nicht –, könnte er sich das gar nicht leisten.« Ihr Blick fügte hinzu: Erst recht keine Frau wie dich.
Sally lächelte gleichmütig und erwog, Lucy zu sagen, daß sie es nur auf James’ Körper abgesehen hatte. Doch dann entschied sie, daß Ehrlichkeit in dieser Situation nicht ratsam war. Abgesehen davon, selbst wenn eine Ehe zwischen einem Farmer und einer Schauspielerin nicht in Frage kam, war eine Beziehung doch durchaus vorstellbar, und sie wollte ihre Chancen nicht minimieren.
Lucys Überzeugung, daß sie eine nichtsnutzige Idiotin sei und Weihnachten ein einziges Fiasko werden würde, steigerte Sallys Entschlossenheit, ein wunderbares Fest auszurichten. Immerhin hatte sie viel gelernt über die letzten Monate. Möglich, daß sie hier war, weil James zu gutmütig war, um zu sagen, daß er sie nicht hier haben wollte, aber auf jeden Fall sollte er seine Entscheidung keine Sekunde bereuen.
»Natürlich würde es mir nie einfallen, etwas zu sagen«, fuhr Lucy fort, die für Sallys Geschmack schon mehr als genug gesagt hatte. »Aber Tante Sophie wird bestimmt denken, daß ihr zwei zusammen seid. Und wird alle möglichen, schrecklich peinlichen Anspielungen machen.« Sally erhaschte einen Blick auf perfekte, kleine Zähne, als Lucy lächelte. »Ich möchte nur nicht, daß Sie denken, irgendwer außer Sophie denke an eine Heirat. Vor allem James läge nichts ferner. Er würde meilenweit rennen, wenn er den Eindruck bekäme, daß Sie das im Sinn haben.«
Ach wirklich? Vielleicht wirst du eine Überraschung erleben, Mrs. Mutter-der-wunderschönen-Zwillinge. Viel-leicht stellst du dann fest, daß die hohlköpfige kleine Schauspielerin aus London ein so wunderschönes Weihnachtsfest ausrichtet, daß du James anschließend mit vorgehaltener Pistole zwingst, sie zu heiraten, und sie anflehst, deine Zwillinge auf der Hochzeit Blumen streuen zu lassen.
Was sie sagte, war: »Dann sollte ich mein Abo für Die schönsten Hochzeitsideen wohl wieder abbestellen.«
Lucy warf ihr einen unsicheren Blick zu. Hatte James’ blondes Modepüppchen etwa einen Witz gemacht? Sally lächelte strahlend und beschloß, Lucy im ungewissen zu lassen.
James war nirgends zu finden, als sie zur Farm kamen. Clodagh hingegen war in der Küche und hieß Sally herzlich willkommen, wedelte mit der Rute, gab ihr leises »Wuff« von sich, machte Platz und streckte ihr eine Pfote entgegen.
Sally, die eine hohe Ehre erkannte, wenn sie ihr zuteil wurde, schüttelte die Pfote und streichelte die massige Brust. »Hallo, Liebes, es tut gut, dich wiederzusehen. Wie geht’s dir denn? Hat James sich anständig um dich gekümmert?«
Clodagh ließ all das freudig über sich ergehen. Lucy sah aus, als sei ihr übel.
»Ich muß weiter. Kommen Sie allein zurecht? Ich nehme an, James will die Entscheidung Ihnen überlassen, wer wo schlafen soll, aber es wird Sie freuen zu hören, daß ich ihm ein paar Garnituren Bettwäsche gekauft habe.« Ihr Blick war wie Waterford-Kristall: kühl und glasklar. »Wie ich höre, mußten Sie beim letzten Mal in James’ Bett schlafen.«
»Stimmt. Vielen Dank, daß Sie mich abgeholt haben. Wenn James erwähnt hätte, daß es ein Problem werden könnte, hätte ich ein Taxi genommen.«
Lucys Ausdruck wurde eine Spur wärmer. Vielleicht hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie angedeutet hatte, irgend etwas sei vorgefallen, als Sally zuletzt hier gewesen war. »Gott, das ist doch nicht nötig! Der Zettel mit meiner Nummer hängt gleich neben dem Telefon. Wenn Sie irgendwas brauchen, rufen Sie mich an. Ich helfe Ihnen gern, wirklich.«
»Danke.« Sallys Lächeln war voller Wärme und Dankbarkeit, aber sie wußte genau, Lucy würde ihr vielleicht wirklich bereitwillig helfen, aber vor allem würde es sie beglücken, daß Sally Hilfe brauchte.
Als Lucy gegangen war, zog Sally ihre tropfnasse Jacke aus und hängte sie über eins der Ofenrohre, achtete aber darauf, daß es nicht auf irgendwelche Lebensmittel tropfte, die sie später noch
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