Wilde Rosen: Roman (German Edition)
Sophies Andeutung keine besondere Bedeutung beizumessen, sondern eher zu denken, daß sie endgültig senil geworden sei. Wozu sollte schließlich ein Mädchen wie Sally einen Mann wie James heiraten?
»Wunderbarer Vogel«, sagte der Cousin, nachdem er die Hand von Sallys Schenkel genommen und statt dessen den des Truthahns ergriffen hatte. »Haben Sie den gemacht?«
»Na ja, schon ...«
»Ich mag es, wenn eine Frau eine anständige Mahlzeit auf den Tisch bringen kann. Ich nehme an, James denkt genauso.«
Sally erwog, ihm ihren hohen, spitzen Absatz in den Fuß zu bohren. May hätte das sicher getan, wenn sie je solche Schuhe getragen hätte, aber Sally entschied sich dagegen.
»Ich mag es, wenn ein Mann sich zu benehmen weiß«, erwiderte sie mit großen Unschuldsaugen und stand auf, um den Nachtisch zu holen, während Liz und James die Teller einsammelten.
»Sie müssen den Brandy auf dem Löffel erhitzen«, sagte Lucy.
»Schütten Sie ein bißchen mehr drüber«, riet Damien.
»Wollen Sie mein Feuerzeug?« bot Peter an.
Sally ließ das Streichholz fallen, eine Millisekunde, ehe sie sich die Finger verbrannte, und der Pudding ging in Flammen auf, die fast bis zu der Stechpalmengirlande an der Decke schlugen.
»Oh, gut gemacht«, sagte Tante Sophie. »Wie hübsch es aussieht.«
»Die Frau ist pyromanisch veranlagt«, murmelte Alexander, Lucys Mann.
»Soll ich den Feuerlöscher holen?« fragte Lucy.
»Auf keinen Fall«, sagte James. »Sally, ich denke, du verdienst die erste Portion.«
Der lüsterne Cousin hatte seine Hand wieder auf ihr Bein gelegt. Sally ergriff den Nußknacker und betrachtete ihn bedeutungsvoll.
Sally ließ sich in einen Sessel sinken und sah auf die Uhr. Es war zwei Uhr morgens. Lucy hatte Tante Sophie nach oben begleitet, und alle Kinder schliefen. Die Erwachsenen sangen zu Alexanders Gitarre. Sie hatten die Weihnachtslieder abgehandelt und waren inzwischen bei uralten Rocknummern gelandet. Alexander hatte offenbar während seines Architekturstudiums mit Straßenmusik sein Auto finanziert. Jetzt spielte er nur noch zu Weihnachten vor der Verwandtschaft, um seine Frau auf die Palme zu bringen.
Sally schlummerte ein, bis das Stimmengewirr der Verabschiedungszeremonie sie weckte. Sie fühlte sich erstaunlich erfrischt und gesellte sich zu James, der mit allen Verwandten, die nicht über Nacht blieben, in der Halle stand. Als sie schließlich allein waren, sagte sie ihm, er solle ruhig schlafen gehen. Er hatte seinen freien Tag gehabt. Morgen würde er sich in aller Herrgottsfrühe wieder um die Farm kümmern müssen.
Dann ging sie in die Küche, um Ordnung zu schaffen. Der Abwasch war größtenteils erledigt. Sally konnte nur raten, wem sie das verdankte. Sie tat, was Abwaschhelfer gerne vergessen, wischte die Arbeitsplatte ab und stellte die Töpfe zum Einweichen unter Wasser.
Müde, aber zufrieden erklomm sie schließlich die Stufen zu ihrem kleinen Zimmer. Nach einem Tag wie diesem hätte sie sich auch willig in einem Pappkarton schlafen gelegt. Jetzt erschien ihr ihr zugiges Kämmerchen mit dem zu kurzen Bett wie das Paradies.
Lautes Schnarchen drang aus ihrem Zimmer und erfüllte sie mit bösen Vorahnungen. Als sie die Tür öffnete, fand sie Cousine Veronica, die auf dem Rücken auf Sallys Bett lag und schlief, obendrein auch noch in Sallys Nachthemd. Tränen der Erschöpfung und Enttäuschung schossen ihr in die Augen. Das war wirklich nicht fair.
Einen Augenblick beobachtete Sally das stetige Heben und Senken der üppigen Brust. Lucy hatte Veronica eigentlich unterbringen sollen, und Sally war ihr dankbar gewesen, weil jedes Bett in James’ Haus belegt war.
Sie erwog, einen Eimer Wasser zu holen und Cousine Veronica über den Kopf zu schütten, aber sie wollte in keinem nassen Bett schlafen. Vielleicht sollte sie das Laken packen und ihren ungebetenen Gast so auf den Boden befördern, aber vermutlich würde sie sich dabei das Kreuz verrenken, und wenn Veronica nicht so betrunken war, daß sie weiterschlief, würde sie auch noch ein anderes Bett für sie finden müssen.
Es war zuviel. Das hier war einfach zu viel. Sie hatte sich für diese versoffene, undankbare Familie abgerackert, und sie ließen ihr nicht einmal einen Platz zum Schlafen. Sie war auf dem Weg zur Treppe, um Clodagh vom Küchensofa zu verbannen, als sie an James’ Zimmer vorbeikam. Ohne sich eine Sekunde Zeit zum Nachdenken zu geben, öffnete sie die Tür.
»James! Deine Cousine schläft in meinem
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