Wilde Rosen: Roman (German Edition)
konventionell.«
Sallys Euphorie ebbte ab. War er wirklich nur wegen Tante Sophie dankbar?
»Ich bring’ Sophie ihren Tee, und dann mach’ ich Pfannkuchen zum Frühstück«, versprach James. »Dave ... Erinnerst du dich an Dave? Du hast ihn beim letzten Mal kennengelernt.«
Sally nickte. »Der Mann, der auf Frauen mit Speck auf den Rippen steht.«
»Er kümmert sich heute um die Farm, so daß ich mich hier nützlich machen kann.«
Und das tat er wirklich. Er holte den Truthahn zum Begießen aus dem Ofen. Er half ihr, zusätzliche Kartoffeln zu schälen und Rosenkohl zu putzen, als Cousin Damien während des Tees auftauchte, davon überzeugt, er werde erwartet. Ohne James, die kleine Brosche und den Alkoholnebel von zwei Gläsern Whiskey-Punch hätte Sally den Tag niemals überstanden.
Es waren so schrecklich viele Menschen. Von dem Moment an, da Liz und Lucy mit ihren Familien eintrafen, stand der Türklopfer nicht mehr still. Kaum war Sally ins Eßzimmer geschlüpft, um ein weiteres Gedeck für Damien aufzulegen, kam schon die nächste Cousine, Veronica, die niemand erwähnt hatte und niemand besonders zu mögen schien.
»Sie ist schrecklich versoffen«, brummte Lucy. »Sie kommt nur zu Weihnachten, weil sie weiß, daß es reichlich zu trinken gibt. Und sie bringt nicht mal Geschenke für die Kinder mit, geschweige denn für irgendwen sonst.«
Da Sally nicht offiziell die Gastgeberin war, traute sie sich nicht, die Verwandten zu fragen, ob sie über Nacht bleiben wollten. Aber bei dem Tempo, mit dem James die Gläser füllte, würde bald niemand mehr fahren können.
Sally verbrachte viel Zeit in der Küche, nicht nur um das Essen im Augen zu halten, sondern auch um nicht vollends in Panik zu geraten. In der Küche und mit ihrer Liste fühlte sie sich einigermaßen sicher, nicht hilflos ausliefert wie draußen unter all den Fremden, deren Namen sie sich niemals würde merken können und die alle verlegen waren, weil sie nicht gewußt hatten, daß James’ Freundin hier sein würde, und ihr kein Geschenk besorgt hatten.
Es wurde neun, bis endlich alle am Tisch Platz nahmen. Wegen der ständigen, unerwarteten Neuankömmlinge hatten nur die Erwachsenen Messer, Gabel und Löffel, die Kinder mußten sich für eins von den dreien entscheiden, und niemand hatte eine Dessertgabel oder ein Buttermesser. Eine Vorspeise wäre logistisch unmöglich gewesen. Aber der Tisch sah wunderschön aus.
Sally und Liz hatten in der Dachkammer zwei passende Damasttischtücher gefunden, die die Scheunentür vollständig bedeckten. Weil sie so viel größer war als ein gewöhnlicher Tisch, fand sich ausreichend Platz für die ausladende Schale mit Efeu, Kerzen und Mandarinen, die Sally dekoriert hatte. Die Vorstellung mochte mit eineinhalb Stunden Verspätung beginnen, aber das Bühnenbild war spektakulär.
»Was für herrlich knusprige Kartoffeln«, lobte ein Cousin, der möglicherweise Damien hieß.
Sally lächelte geheimnisvoll. Sie hatte die Kartoffeln auf dem Grill in der Vorratskammer gebräunt, nachdem der Rayburn befunden hatte, genug sei genug, und in Streik getreten war.
»Herrlich weicher Rosenkohl«, bemerkte Lucys Tochter.
Der Rosenkohl hatte zu lange gekocht – Sally hatte ihn gerade abschütten wollen, als Clodagh über die Innereien herfiel, die zum Abkühlen auf der Fensterbank standen. Als Sally endlich zu dem Schluß kam, daß Clodagh davon nicht eingehen würde und für die Zweibeiner auch so genug auf den Tisch kam, war der Rosenkohl matschig. Aber da das kleine Mädchen ihn mit offenkundigem Genuß aß, fragte sich Sally, ob Lucys Kinder es vielleicht langsam satt waren, alles al dente vorgesetzt zu bekommen.
Sally quetschte sich neben den Cousin, der ihr sofort die Hand aufs Knie legte. James stand am Kopf des Tisches und tranchierte den Truthahn. Liz’ Mann Peter reichte ihm die Teller an, und Lucys Alexander legte die Füllung auf. Sally kam es vor, als sitze sie zum ersten Mal an diesem Tag. Als alle einen gefüllten Teller vor sich stehen hatten, erhob Tante Sophie ihr Glas: »Ich möchte James und Susan, die, wenn ich recht informiert bin, bald seine Frau werden wird, für dieses wunderbare Festessen danken. Zu dieser Zeit des Jahres mit der Familie zusammenzusein gehört zu den Freuden, die das Leben lebenswert machen. Und in meinem Alter hat man nicht mehr viele dieser Freuden. Auf James und Susan!«
Sally war viel zu erledigt, um verlegen zu sein, und die meisten Gäste schienen Tante
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