Wilde Rosen: Roman (German Edition)
würde, wenn er die Wirkung ihres Kleides verdarb.
Die dunklen Seidenrosen auf ihrem dunklen, leuchtenden Haar vervollständigten jedoch ihr Kostüm. »Es ist wunderschön ...« Sie warf Sally einen kurzen Blick zu. »Aber dieses Kleid ist ziemlich freizügig, oder?«
Harriet betrachtete sie kritisch. »Ich muß gestehen, ich hätte nicht gedacht, daß es so viel Haut freiläßt.«
»Zieh deines mal an, Harriet«, schlug Sally vor. »Ich weiß genau, daß sie auf der Zeichnung nicht so gewagt aussahen.«
Harriets Kleid war nicht ganz so tief ausgeschnitten, und ihr kleinerer Busen war diskret verhüllt. Aber Mays Ausschnitt wirkte beinah ein bißchen unanständig.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Sally. »Liz muß jeden Moment hier sein. Sie wird es ändern.«
»Du mußt die lässigste Braut in der Geschichte der Menschheit sein«, bemerkte May. »Bist du denn kein bißchen nervös?« Sie bekam schon weiche Knie, wenn sie nur daran dachte, zum Altar zu schreiten, und sei es nur als Brautjungfer.
Sally runzelte die Stirn. »Nein, eigentlich nicht. Ich meine, ich weiß, ich hab’ James. Und wenn das Festzelt umfällt, oder niemand kommt, oder der Organist sich in die Orgel erbricht, solange es James nur gutgeht, ist mir alles gleich. Klingt das furchtbar kitschig?«
»Ja«, knurrte May.
Sally war am nächsten Tag noch ebenso gelassen. May wünschte beinah, Sally wäre ein bißchen neurotischer und zeigte typische Braut-Symptome, doch während Lucy zur Kirche fuhr, um sich zu vergewissern, daß die Blumengestecke über Nacht nicht verwelkt waren, erlaubte Sally den Kindern, sich mit dem Inhalt ihres Schminkkoffers zu vergnügen. Während May, einer Panik nahe, versuchte, den Lippenstift von Gina und Augustus abzuwaschen, fragte sie sich, wovor sie sich mehr fürchtete, vor Lucy oder dem Einzug in die Kirche.
Und statt unter einer Gesichtsmaske zu zittern oder beharrlich zu verkünden, es sei ein furchtbarer Fehler und die Hochzeit müsse abgesagt werden, huschte Sally in Lockenwicklern und Unterwäsche durchs Haus, riß sich am Holzkorb in der Küche beinah eine Laufmasche in ihren weißen, spitzengesäumten Seidenstrumpf und war einfach nicht aus der Ruhe zu bringen.
»Es wird Zeit, daß die Brautjungfern sich ankleiden«, verkündete Lucy, nachdem sie ihr Klemmbrett konsultiert hatte. »Ich hoffe nur, die Blumensträuße kommen rechtzeitig. Sie müßten längst hier sein.«
»Warum haben wir nicht Körbe mit Apfelsinen statt Blumen«, raunte May Harriet zu, während sie in ihre Kleider stiegen. »Dann hätte Lucy wenigstens eine Sorge weniger.«
»Ich glaube, Lucy liebt es, sich zu sorgen.« Harriet streifte die Ärmel über. »Du hast wenigstens einen vernünftigen Busen«, bemerkte sie mit einem mißfälligen Blick auf ihre eigene Brust.
»Ja, und jeder in der Kirche kriegt ihn zu sehen.«
Liz kam mit ihren beiden Kindern, die sich sofort daranmachten, das Chaos zu verschlimmern. Liz hatte ein Kästchen dabei, das sie in das Zimmer der Brautjungfern hinaufbrachte.
»Das hier hab’ ich kürzlich auf James’ Dachboden gefunden. Ich dachte mir, daß ich es irgendwann mal gebrauchen könnte, und hab’ es mitgehen lassen.«
»Was ist das? Ein Tarnnetz?«
»Mehr oder weniger.« Liz öffnete ihre Schachtel und förderte zwei Stücke eines spitzenartigen Seidennetzes hervor. »Natürlich war es schrecklich vergilbt, aber ich habe es mit biologischem Waschmittel gewaschen und anschließend in Bleiche gelegt, und es ist wunderbar geworden. Seht nur, wie weich es fällt. Viel schöner als Nylon.«
Harriet war entsetzt. »Soll das heißen, du hast alte Seidenspitze in Bleiche gelegt? Sie hätte verderben können!«
»Und denk nur an die Umweltbelastung«, fügte May hinzu, ebenso entsetzt, aber aus anderen Gründen.
Liz zuckte die Achseln. »Ich gelobe, ich werd’s nie wieder tun. Sie ist nicht schneeweiß geworden, sondern hat exakt die richtige Farbe für die Kleider. Und es reicht für euch beide. Setz dich hin, May, und dann wollen wir sehen, was wir tun können, damit du ein bißchen züchtiger aussiehst.«
Unter ihren geschickten Händen verwandelte die Seidenspitze sich in ein Fichu, das Mays Dekolleté bedeckte, ohne den Schnitt oder den Stil des Kleides zu beeinträchtigen.
»Wenn du zu heftig draufpustest, wird es zu Staub zerfallen, aber mit ein bißchen Glück wird es die Trauung überstehen.«
»Du bist sehr geschickt, Liz«, bemerkte Harriet.
»Hier kommt Suzy, um euch die Haare zu
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