Wilde Rosen: Roman (German Edition)
Großeltern haben nie erlaubt, daß ich irgendwas Praktisches lerne, Schreibmaschine schreiben zum Beispiel. Das einzige, wovon ich auch nur den Schimmer einer Ahnung habe, ist Malerei, und das ist nichts, womit ich unseren Lebensunterhalt verdienen könnte – jedenfalls noch nicht. Vielleicht eines Tages. Das hoffe ich jedenfalls. Davon abgesehen, Matthew war glücklich dort.«
May fand das alles ziemlich unverdaulich, aber sie bemühte sich, es zu verstehen. Mütter waren schließlich berüchtigt dafür, ihren Kindern alles mögliche zu opfern.
»Du bist also Künstlerin?« wollte Sally wissen.
»Ich würde mich nie so nennen, aber es ist der Grund, warum ich weggelaufen bin. Ich glaube, hätte ich dieses übermächtige Bedürfnis zu malen nicht, hätte ich mich weiter mit meinen Großeltern arrangiert, bis Matthew groß ist. Aber nicht weiter malen und weiter lernen zu können, das brachte mich um. Und darum bin ich nach London gekommen. Ich dachte, hier gibt es andere Möglichkeiten.«
»Aber du hast nicht versucht zu verhindern, daß sie Matthew ins Internat steckten?« fragte May ohne Vorwurf in der Stimme.
Harriet seufzte. »Ich hab’s versucht, aber es hat nichts genützt. Und dann wurde mir klar, daß für mich eine Chance darin lag, wenn er aufs Internat ging. Ich hätte ihn ja nicht mit nach London ins Ungewisse nehmen können.«
»Was ist mit seinem Vater?« fragte May.
»Er weiß nichts von Matthew. Ich wollte nicht, daß er es weiß.«
»Also hast du dein Baby ganz allein großgezogen?« Sally war zutiefst beeindruckt. »Wie mutig.«
Harriet schüttelte den Kopf. »Nein. Meine Großeltern haben mein Baby großgezogen – ebenso wie mich. Ich war lediglich sein Kindermädchen.«
»Wie furchtbar«, hauchte Sally.
»Nun ja«, fuhr Harriet betont fröhlich fort. »So habe ich jedenfalls gelernt, wie man saubermacht.«
Einen Moment lang herrschte ein unbehagliches Schweigen. Weder Sally noch May sahen sich in der Lage, einen Kommentar zu dieser Situation abzugeben, die ihnen absolut unerträglich vorkam, und sie spürten beide, daß ihr Mitleid das letzte auf der Welt war, was Harriet wollte. May wechselte das Thema.
»Der einzige Nachteil daran, auf einem Boot zu leben, ist, daß man nicht am Ende eines Tages wie heute in ein schönes, heißes Bad sinken kann«, sagte sie, dabei war sie normalerweise unwillig zuzugeben, daß es überhaupt Nachteile an einem Boot gab.
»Was?« Sally war entsetzt. »Du meinst, du kannst dich nicht waschen?«
»Oh, ich hab’ eine Dusche. Aber die bringt nicht so furchtbar viel.«
So kann man’s auch nennen, dachte Harriet, als sie kurz darauf unter dem kümmerlichen Strahl von lauwarmem Wasser stand, dessen Tröpfeln vom Gurgeln der Pumpe übertönt wurde, die einem das Wasser mit ohrenbetäubendem Getöse unter den Füßen wegsaugte, beinah ehe es dort ankam. Als Harriet wieder zum Vorschein kam, sauberer, aber nicht sehr entspannt, legte May ein Geständnis ab.
»Ich fahr’ so oft ich kann zu meinen Eltern, um zu baden«, erklärte sie. »Aber davon abgesehen, wasche ich mich nicht besonders oft. Das ist einer der Vorteile, wenn man allein lebt.«
Kapitel 4
H arriets Auftrag führte sie nach Chelsea. Die anderen beiden hatten bekundet, daß diese Adresse am Cheyne Walk am einfachsten zu finden sei, also war es nur fair, diesen Einsatz der Landpomeranze – wie sie sich selbst nannte – zu überlassen. Außerdem hatten sie beschlossen, von dem Geld, das von Keith’ zwanzig Pfund noch übrig war, für Harriet einen Londoner Stadtplan zu kaufen.
Sally fuhr zu einer Wohnung in Victoria, die einem ehemaligen Marineoffizier und seiner Frau gehörte. Beide waren im Krankenhaus gewesen. Eine Nachbarin ließ Sally herein und erklärte ihr, das ältere Ehepaar nehme es mit der Hausarbeit sehr genau.
»Es würde mich überhaupt nicht wundern, wenn es das war, was Captain Walkers Herzinfarkt ausgelöst hat«, vertraute die Nachbarin ihr an. »Von früh bis spät war er damit beschäftigt, ›klar Schiff‹ zu machen. Na ja, ich bin schon mal mit dem Staubsauger durch alle Räume gegangen, sonst hätten Sie das nie alles geschafft bis halb elf. Ihr Sohn bringt die beiden heim.«
»Was fehlte Mrs. Walker denn?« fragte Sally, die gern mit allen Details vertraut war.
Die Nachbarin fuhr leicht zusammen. »Ich weiß es nicht genau, Liebes. Aber ich glaube, es war irgendwas Gynäkologisches.«
Sally fuhr auch leicht zusammen.
»Sie waren ja so erleichtert,
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