Wilde Rosen: Roman (German Edition)
die enorme Unverschämtheit dieser Bemerkung bewußt wurde, aber mochte es auch wenig schmeichelhaft sein, wie eine Kuh behandelt zu werden, tat es doch unbestreitbar gut. Ehe ihr eine passende, gleichzeitig dankbare und vorwurfsvolle Antwort einfiel, hatte James das Zimmer schon verlassen.
Sally lag mit geschlossenen Augen auf dem Sofa. Sie hörte die Wohnungstür mehrfach auf und zu gehen, während James seine Sachen aus dem Auto holte. Wäre sie ein höflicher Gast, würde sie ihm helfen. Aber sie war ja kein Gast. Sie war eine kranke Kuh. Vermutlich hatte er auch ein Herz für verirrte Lämmer und streunende Hunde. Sie war einfach irgendein heimatloses Geschöpf, das er aufgelesen hatte.
Er kam mit einem Kissen und einem dampfenden Becher zurück. Das Kissen roch schwach nach Mann, der Becher stark nach Whisky und Zitrone. Es gab wirklich grausamere Schicksale, als eine von James’ Kühen zu sein, dachte Sally und trank an ihrem kochendheißen Seelentröster.
Der Alkohol fing gerade an, sich warm und wohlig in ihrer Blutbahn zu verteilen, als James wieder hereinkam. Er trug einen Anzug, stellte Sally erschrocken fest. Der akkurate Schnitt und das schneeweiße Hemd ließen ihn plötzlich gutaussehend und fremd erscheinen, als habe der haarige Naturbursche einen eleganteren, weltmännischen Zwillingsbruder. Unter anderen Umständen hätte Sally die veränderte Erscheinung als deutliche Verbesserung angesehen, aber es hieß, daß er ausging, und sie würde wieder allein sein.
Sie lächelte so strahlend, wie sie konnte. Wenigstens hatte sie es warm, und Clodagh würde ihr Gesellschaft leisten. »Sie sehen sehr elegant aus. Haben Sie was Nettes vor?«
»Tee mit meiner steinalten Tante, dann Essen mit ein paar Freunden. Aber vorher hole ich Ihnen einen Videofilm, damit Sie sich nicht einsam fühlen.«
»Ich werd’ mich nicht einsam fühlen, es sei denn, Sie wollten Clodagh mitnehmen«, widersprach sie, auch wenn es nicht ganz der Wahrheit entsprach.
»Aber sicher würde Ihnen langweilig. Clodagh ist kein besonders anregender Gesprächspartner. Und mein Onkel besaß kein Buch, das nach 1910 erschienen ist, also gibt es auch nicht viel zu lesen. Es sei denn, Sie interessieren sich für Trollope?«
»Joanna oder Anthony?«
»Anthony.«
Sie schüttelte den Kopf und biß sich auf die Lippe.
»Also, ein Videofilm.« Er verließ das Zimmer, ehe sie noch etwas sagen konnte.
Ihr Mangel an Kultur war ihr offenbar deutlich anzusehen. Auf einen Blick hatte er erkannt, daß sie niemals ein Buch las, das dicker als fünf Zentimeter war, es sei denn, es war von Jilly Cooper. Vielleicht hatte Piers ja recht: Sie war ein intellektuelles Fliegengewicht.
Er blieb so lange weg, daß Sally zu dem Schluß kam, sie hätte doch ruhig mit The Warden anfangen sollen, bestimmt wäre sie jetzt schon ein gutes Stück weit gekommen. Dann plötzlich erhob Clodagh sich umständlich, ging zur Tür und jaulte leise. Sally rollte sich von dem Sofa und ließ sie in den Flur hinaus, ehe sie an das Fenster trat und nach James’ Wagen Ausschau hielt. Aber er stieg aus keinem der größeren Fahrzeuge, die unten parkten.
Clodagh mußte vermutlich mal vor die Tür. »Jetzt krieg’ ich auch noch ein Bußgeld, weil ich einen Hund von der Größe eines Esels den Gehweg verunreinigen lasse. So ein Mist!«
Sie hatte gerade ihre Schuhe gefunden, als sie einen Schlüssel in der Tür hörte. Im nächsten Moment legte Clodagh ihrem Herrn die Pfoten auf die Schultern. »Tut mir leid, daß ich so lange gebraucht habe«, sagte James. »Es war gar nicht so leicht, einen Laden zu finden. Können Sie Clodagh nehmen, dann geh’ ich und hole sie.«
»Natürlich.«
Clodagh hatte keinerlei Einwände, wieder an ihren Platz am Feuer zurückzukehren, und Sally, die nicht wollte, daß James sie länger als nötig in diesen grauenvollen Sachen ohne Unterwäsche sah, verkroch sich wieder unter der Decke. Dort blieben ihr mehrere Minuten, um sich zu fragen, warum er noch einmal zum Auto runtermußte, wo er doch nur ein paar Videos geholt hatte. Als er schließlich in die Bibliothek zurückkam, trug er einen Fernseher vor sich her.
»Was in aller Welt ...« Sally ging ein Licht auf. »Sie sind doch nicht etwa gegangen und haben den für mich gekauft?« Sie war entsetzt.
»Gemietet. Und für mich.« Er stellte ihn neben der Heizsonne ab. »Jetzt hol’ ich die Filme.«
Dieses Mal kam er mit einem Videorecorder unter einem Arm und Kassetten in der anderen Hand
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