Wilde Saat
Seit der Ehe mit ihrem ersten Mann hatte sie sich nie mehr so fest an einen Menschen gebunden – nicht an einen Mann, nicht an ein Kind. Me n schen besaßen nur ein kurzes Leben. Sie starben, alle – a u ßer Doro. Warum, wa r um konnte es nicht Isaak sein, der unsterblich war, und Doro derjenige, der sterben mußte!
Sie küßte Isaak. Sie hatte ihm viele solcher Küsse geg e ben, seit er alt zu werden begann. Sie waren mehr als ein bl o ßes Zeichen der Liebe. In ihrem Körper produzierte sie eine Medizin für ihn. Sie ha t te ihn sorgfältig studiert, hatte sich und ihre Organe altern lassen, um die Auswirkungen und Folgen des Alterns kennenzulernen. Es war keine ungefährl i che Umwandlung gewesen. Ein Irrtum hätte ihren Tod b e deuten können, noch bevor sie imstande gewesen war, das entsprechende Heilmittel zu finden. Au f merksam hörte sie Isaak zu, wenn er ihr die Symptome der Krankheit b e schrieb, die Schmerzen, die ihn befielen, die Krämpfe in seiner Brust, die Angstzustände, die Art, wie sich die Lähmung vom He r zen in die linke Schulter und den linken Arm ausbreitete.
Als – vor zwanzig Jahren – dieser Schmerz ihn das erste Mal befiel, hatte er geglaubt, sterben zu mü s sen. In ihrer Angst, ihn zu verlieren, hatte sie sich den gleichen Schmerz zugefügt, und zwar mit so l cher Gewalt, daß sie gefürchtet hatte, ebenfalls zu sterben. Es war qualvoll gewesen. Aber sie hatten es beide überstanden. Im Laufe der Zeit waren ihr dann gewisse Zusammenhänge aufgegangen. Sie hatte begriffen, daß zu gutes und reichliches Essen im A l ter die Ursache für diese Beschwerden war. Es entstand eine wachsende Brüchigkeit der Blutgefäße, insbesondere der Blutgefäße – falls ihre S t imuli e rungsversuche stimmten –, die das Herz mit Blut versorgten.
Anyanwu hatte nach Abhilfe gesucht. Wie konnten a l ternde, verfettete und verengte Blutgefäße erneuert we r den? Ihre eigenen konnte Anyanwu durch neue ersetzen. Es b e durfte dazu natürlich größter Sorgfalt und Konzentration. Aber es war ihr noch immer, o h ne Schaden zu nehmen, gelungen, sich wieder in die junge Frau zurückzuverwa n deln, die sie seit der Zeit ihres Übergangs geblieben war. Doch Isaaks Übe r gang war anderer Natur gewesen. Er war daraus nicht mit dem Geschenk nie endender Jugendlic h keit hervorgegangen. Ihm waren andere Gaben zuteil g e worden. Gute Gaben, aber nutzlos und unbrauc h bar für eine Verlängerung des Lebens. Wenn sie ihm doch nur e t was von ihrer Macht mitgeben könnte …
Müßige Wunschträume! Wenn sie die Schäden nicht b e seitigen konnte, die Alter und schlechte Lebensgewohnhe i ten verursacht hatten, dann konnte sie wenigstens vers u chen, eine Verschlechterung in Isaaks Zustand zu verhi n dern. Er mußte beim Essen maßhalten und auf gewisse Speisen ganz verzichten. Er mußte das Rauchen aufgeben und durfte nicht mehr so hart arbeiten. Nicht mit den Hä n den und nicht mit seiner Hexenkraft. Denn beides forderte seinen körperlichen Tribut. Vor allem durfte er keine Schi f fe mehr aus dem Sturm retten.
Leichtere Arbeiten mochten noch durchgehen, solange sie ihm keine Schmerzen einbrachten. Anya n wu erklärte Doro mit aller Bestimmtheit, daß er sich für die schweren Au f gaben nach einem jüngeren Mann umschauen müsse, wenn er Isaaks Leben nicht gefährden wolle.
Anyanwu verbrachte viele schmerzvolle Stunden mit der Suche und Herstellung einer Arznei, die Isaak Erleicht e rung verschaffte, wenn sich die Herzanfälle einstellten. All dies nahm sie sehr mit, und sie wurde so schwach, daß Isaak sie bat, damit aufzuhören. Aber sie machte weiter. Mehrmals fügte sie ihrem Körper starke Vergiftungen zu, als sie unbekannte pflanzliche und tierische Substanzen benutzte, um herauszufinden, wie der menschliche Org a nismus darauf reagierte. Sie überprüfte bekannte Substa n zen auf neue Möglichkeiten und entdeckte zum Beispiel, daß so ein einfaches Gewächs wie Knoblauch eine gewisse Heilkraft besaß, wenn auch eher im vorbe u genden Sinne. Sie suchte unentwegt, erweiterte ihr Wissen, das später auch anderen zugute kommen würde. Für Isaak fand sie schließlich, gewisserm a ßen als Zufallsprodukt, eine nicht ungefährliche M e dizin, die in kürzester Zeit die gesunden Gefäße erweiterte. Auf diese Weise wurde dem untere r nährten Herzen die nötige Blutmenge zugeführt, und der Krampf löste sich. Als Isaak wieder von einem Anfall heimgesucht wurde, verabreichte sie ihm diese Medizin. Die
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