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Wilde Saat

Wilde Saat

Titel: Wilde Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Octavia Butler
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sie rasch wieder die Augen. »Er war bewußtlos vor Schmerzen«, sagte Doro. »Dann fiel sie auch noch auf ihn. Es war keine A b sicht von ihr. Sie stolperte über seine Füße. Das war zuviel für ihn.«
    »Ein grauenhafter Unfall nach dem anderen.« Anyanwu schüttelte benommen den Kopf. »Alles ist d a hin!«
    Zu Doros Überraschung näherte sie sich dem Tablett, trug es in die Küche zurück und begann zu essen. Doro beobachtete sie verblüfft. Die Verletzu n gen, die Nweke ihr zugefügt hatte, mußten schlimmer gewesen sein, als er g e glaubt hatte, wenn sie jetzt wie eine Verhungernde die Speisen in sich h i neinschlang, während die Leichen der beiden Me n schen, die sie am meisten geliebt hatte, noch nicht erkaltet waren.
    »Doro«, sagte sie nach einer Weile, »wir müssen sie b e erdigen.«
    Sie aß ein Stück von dem Ölkuchen, den Isaak für Doro auf den Tisch gestellt hatte. Doro verspürte ebenfalls Hu n ger, aber er brachte es nicht fertig, in diesem Moment e t was Eßbares anzurühren.
    Den Körper, den er trug, hatte er erst vor kurzer Zeit übernommen. Es war ein starker, gesunder Körper aus se i ner Siedlung in der Kolonie Pennsylvania. Für gewöhnlich würde er mehrere Monate damit ausg e kommen sein. Er hätte ihn benutzen können, um Nwekes erstes Kind zu ze u gen. Sie wären ein gutes Paar gewesen. Seine pennsylvan i schen Siedler waren ein aufrechtes, robustes Geschlecht. Ein hervorr a gender Menschenschlag. Doch körperliche und seel i sche Belastungen forderten ihren Tribut, machten ihn hungrig, weckten in ihm das Verlangen nach der Zufriede n heit und dem Trost, die ein anderer Körper ihm ve r schafften. Es bestand keine Notwendigkeit für einen Wec h sel. Sein gegenwärtiger Körper würde ihm noch eine ganze Weile genügen. Aber Doro würde sich unbehaglich und unzufri e den fühlen, bis er gewechselt hatte. Und es gab keinen trift i gen Grund, weshalb er diesen Zustand ertragen sollte. Nw e ke war tot, Isaak war tot. Er schaute auf An y anwu.
    »Wir müssen sie begraben«, wiederholte sie.
    Doro nickte. Sollte sie ihr Ritual haben. Sie war gut zu Isaak gewesen. Doch danach …
    »Er sagte, wir sollten uns versöhnen«, sagte sie.
    »Wer?«
    »Isaak. Es waren seine letzten Worte. Er sagte, wir sol l ten Frieden miteinander machen.«
    Doro zuckte die Schultern. »Wir werden unseren Fri e den miteinander haben.«
    Anyanwu schwieg.
    Später trafen sie die Vorbereitungen für das Begrä b nis. Sie notierte die Namen der vielen verheirateten Kinder. Es spielte keine Rolle, ob sie Isaaks oder Doros Kinder waren. Sie alle hatten Isaak Vater g e nannt. Es gab auch mehrere Pflegekinder, solche, die Anyanwu bei sich aufgenommen hatte, weil deren Eltern ungeeignet oder gestorben waren. Und es gab all die anderen, die kommen würden. Denn alle in der Stadt hatte Isaak gekannt und geliebt. Und sie alle würden kommen, ihm die letzte Ehre zu erwe i sen.
    Doch am Tag der Beisetzung war Anyanwu nirgends zu finden. Für Doros Spürsinn war es so, als habe sie aufg e hört, zu existieren.
    Eine Zeitlang flog sie als großer Vogel dahin. Dann, weit draußen über dem Meer, ließ sie sich müde auf dem Wasser nieder und nahm die Gestalt eines Delphins an, der sie ei n mal vor langer Zeit gewesen war. Dort, wo sie au f gesetzt hatte, tummelte sich eine Gruppe dieser freundl i chen Tiere. Sie würden sie annehmen, und sie würde eine von ihnen werden. Sie würde es lernen, in ihrer Welt zu leben, und das L e ben in ihrer Mitte würde nicht fremder für sie sein als das Leben in der Welt, die sie soeben verlassen hatte.
    Nur kurz kam ihr die Frage, wie lange sie es aushalten konnte, fern von ihren Verwandten, Freunden und jedem menschlichen Wesen. Wie lange würde sie sich im Meer versteckt halten müssen, bis Doro die Suche nach ihr ei n stellte – oder sie aufgespürt hatte. Sie erinnerte sich an die Panik, die sie jäh überfiel, als Doro sie von ihrem Volk wegführte. Sie e r innerte sich an ihre Einsamkeit, die durch Doro, Isaak und die beiden inzwischen schon verstorbenen Enkelkinder ein wenig erträglicher geworden war. Wie würde sie es aushalten allein unter den Delph i nen? Wie war es dazu gekommen, daß sie ein Leben im Meer als e t was Erstrebenswertes ansah?
    Doro hatte einen anderen Menschen aus ihr gemacht. Er hatte sie dazu gebracht, sich ihm immer und i m mer wieder zu unterwerfen. Dabei glaubte sie schon lange nicht mehr an das, was Isaak einmal zu ihr gesagt hatte: daß ihre Lan g

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