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Wilde Saat

Wilde Saat

Titel: Wilde Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Octavia Butler
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lebigkeit sie für Doro zum richtigen Partner machte und daß sie die einzige sei, die ihn davor bewahren könne, zum Tier abzusinken. Er war bereits zum Tier geworden. Und sie? Die Unterwerfung unter seinen Willen war ihr inzw i schen zur Gewoh n heit geworden. Diese Gewohnheit hatte sie geformt. In ihrer Liebe zu Isaak und zu ihren Kindern und in ihrer Furcht vor dem Tod – vor allem vor der Art von Tod, die Doro einem zufügte – hatte sie ständig nac h gegeben. Gewohnheiten waren nur schwer au f zugeben: die Gewohnheit des Lebens, die Gewohnheit der Furcht – s o gar die Gewohnheit der Liebe.
    Nun, aus ihren Kindern waren erwachsene Männer und Frauen geworden, die imstande waren, für sich selbst zu sorgen. Sie würden ihr fehlen. Es gab kein schöneres G e fühl als das, sich von den Seinen umgeben zu wissen, mi t ten unter seinen Kindern, E n kelkindern und Urenkeln zu leben. Wie Doro ständig unterwegs zu sein, wäre gegen ihre Natur gewesen. Anyanwu war ein seßhafter Mensch mit dem B e dürfnis nach einer Familie, einem Stamm, in deren Mitte sie so lange wie möglich leben konnte.
    Würde es ihr gelingen, sich einen Stamm von De l phinen zu schaffen? Würde Doro ihr die Zeit lassen, die sie brauchte, um es zu versuchen? Sie hatte eine Tat begangen, die unter seinem Volk als ein schw e res Verbrechen galt: Sie hatte die Flucht vor ihm ergriffen. Daß sie es getan ha t te, um dem Tod zu entgehen, spielte keine Rolle. Er war der Überze u gung, daß er das Recht hatte, jeden aus seinem Volk zu töten, den er dazu ausersehen hatte. Eine große Zahl seiner Leute akzeptierte das, und niemand lief davon, wenn er kam, sie zu holen. Sie fürchteten sich vor ihm, aber er war ihr Gott. Eine Flucht war sin n los. Er fing den Flüchtigen unweigerlich wieder ein und tötete ihn, oder – was allerdings nur selten g e schah – er brachte ihn lebend nach Hause und züchtigte ihn vor aller Augen, zum Ze i chen dafür, daß es kein Entrinnen vor ihm gab. Flucht war für die mei s ten eine Art Gotteslästerung. Sie glaubten, da er ihr Gott sei, stehe es ihm zu, über sie zu verfügen, wie es ihm beliebte. »Hiobs« nannten sie sich im stillen. Wie Hiob aus der Bibel machten sie das Beste aus ihrer Situation. Sie konnten Doro nicht entkommen, also wurde die Unterwe r fung unter seinen Willen für sie zu einer Tugend.
    Anyanwu hatte diesen Glauben nie geteilt. In ihren A u gen war Doro kein Gott. Und wenn die Flucht vor ihm ein ganzes Jahrhundert dauern sollte, sie würde so lange fli e hen, bis sie sich vor ihm in Sicherheit gebracht hatte. Ihr Leben würde er nicht bekommen. Das Volk von Wheatley sollte erkennen, daß er nicht allmächtig war. Sie würde dafür sorgen, daß er sich in ihrer Gestalt den Leuten dort niemals zeigen konnte. Vielleicht würden dann auch andere begre i fen, daß er kein Gott war. Vielleicht würden sie ihm ebenfalls davonlaufen und damit in der Lage sein, ihr L e ben in Frieden und ohne diese Art von Furcht zu leben. Den Mächtigen, wie Isaak einer gewesen war, konnte die Flucht gelingen. Vielleicht waren auch einige von ihren Kindern unter den Glücklichen.
    Den Gedanken, daß Isaak nie an Flucht gedacht hatte, schob sie beiseite. Isaak war Isaak, kein Mensch wie die anderen. Und einer, über den zu richten ni e mand das Recht hatte. Er war der Beste von all ihren Ehemännern gewesen, und sie hatte ihm nicht einmal das letzte Geleit geben kö n nen. Der Gedanke an ihn weckte in ihr den Wunsch nach einem stillen Eiland, wo sie um ihren Mann und ihre Toc h ter trauern konnte, ohne ständig um ihr Leben fürchten zu müssen. Sollte sie sich wieder in einen Vogel verwa n deln, um sich irgendwo im Meer eine einsame Fe l seninsel zu suchen, auf der sie allein sein konnte?
    Allein mit ihren Erinnerungen und ihrem Schmerz. Sie brauchte diese Zeit der Abgeschiedenheit, bevor sie and e ren wieder eine gute Gefährtin sein konnte.
    Doch die Delphine hatten sich ihr genähert. Mehrere lö s ten sich aus dem Verband der anderen, schossen aufgeregt schnatternd auf sie zu. Einen Moment lang glaubte Anyanwu, die Tiere wollten sie angreifen, doch sie kamen nur, um an ihr entlangzustreichen und sich mit ihr bekannt zu machen. Sie schloß sich ihnen an, und niemand belästi g te sie. Wie die and e ren schnappte sie nach vorbeiziehenden Fischen und fand sie nicht weniger wohlschmeckend als die köstlichsten Speisen in Wheatley und in ihrem afrikan i schen Heimatland. Sie war ein Delphin. Doro hatte keine Macht

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