Wilde Saat
ihm?«
»Ja. Aber geh jetzt!«
Doro versuchte, seine Zweifel zu überwinden und ve r ließ den Raum.
Irgendwie gelang es Anyanwu, sich wenigstens so weit zu heilen, daß die inneren Blutungen nicht bei der kleinsten Bewegung, die sie machte, wieder einsetzten. Die Zerst ö rungen, die Nweke in Anyanwus Körper angerichtet hatte, waren groß. Alles war schnell und mit unerwarteter Wil d heit geschehen. Wenn Anyanwu sonst ihre Gestalt wec h selte, bildete sie Organe um, die bereits existierten, und sie schaffte die neuen, die notwendig waren, mit Unterstü t zung der alten. Und bei den meisten Verwandlungen besaß sie zum Teil noch ihre menschlichen Organe, während sie nach außen hin schon längst nicht mehr aussah wie ein Mensch. Doch Nweke hatte fast alles in ihr zerstört. Hätte das Mädchen sich auch auf Anyanwus Gehirn konzentriert, wäre Anyanwu gestorben, bevor sie noch ihre Heilung s kräfte aktivieren konnte. Sogar jetzt stand sie vor einer kaum zu bewältigenden Aufgabe. Obgleich Nweke Anyanwus Gehirn verschont hatte, reichten die angericht e ten Zerstörungen, um die Mutter an den Rand des Gr a bes zu bringen.
Wie konnte sie es schaffen, sich selbst so schnell gesund zu machen, um Isaak noch rechtzeitig zu retten? Das war Anyanwus bange Frage. Sie wußte, daß das Leben seinen Sinn für sie verlor, wenn Isaak sterben sollte. Schon in den ersten Jahren ihrer Ehe hatte sie erkannt, daß sie sich in bezug auf ihn geirrt hatte. Es zeigte sich sehr bald, daß sie nie einen Mann gehabt hatte, der so gut zu ihr paßte wie Isaak. Sie hätte keinen besseren finden können als ihn. Mit seiner und ihrer Kraft hatten sie dieses Haus gebaut. Ihre Kraft hatte Isaak fasziniert, ihn jedoch niemals verwirrt oder unsicher gemacht. Sie wiederum hatte seiner Kraft absolut vertraut. Sie hatte gesehen, wie er große Bau m stämme aus den Wäldern hera n schleppte und deren Rinde schälte. Sie hatte gesehen, wie er Wölfe tötete, ohne mit ihnen in Berührung zu kommen. Sie hatte gesehen, wie er in einem Kampf einen Mann tötete, der völlig betrunken war und in seinem Rausch nicht begreifen wollte, daß Isaak sich von ihm nicht herausfordern ließ. Der Narr hatte eine Waffe bei sich gehabt und Isaak nicht. Isaak trug niemals eine Waffe. Es bestand keine Notwendigkeit dazu. Der Mann starb, wie die Wölfe gestorben wa r en – der Schädel wurde ihm zerschmettert, als habe jemand mit der Keule zugeschlagen. Danach war Isaak tagelang krank, denn er kam mit sich selbst nicht mehr ins reine.
All das hatte Anyanwu gesehen, doch niemals hatte sie Angst vor ihrem Mann bekommen. Doro fürchtete sie, nicht aber Isaak. Oft warf er sie durch die Luft, und sie schrie oder lachte oder verwünschte ihn, aber etwas wie Angst war nie in ihr gewesen. Und sie hatte ihn nie verac h tet. »Er besitzt mehr Verstand als Männer, die zweimal, ja dreimal so alt sind wie er«, hatte sie einmal zu Doro gesagt. Damals war Isaak noch sehr jung gewesen, und das Ve r hältnis zwischen ihr und Doro war noch nicht ganz so feindselig und gespannt gewesen. In ma n cher Beziehung besaß Isaak mehr Klugheit und Ve r stand als Doro. Und Isaak begriff auch besser als sie, daß er sie mit anderen te i len mußte, wenigstens mit Doro. Und daß sie ihn teilen mußte mit den Frauen, die Doro ihm zuführte. Anyanwu war es g e wohnt, den Mann mit anderen Frauen zu teilen, aber es feh l te ihr die Erfahrung, daß mehrere Männer sich in sie teilten. Sie mochte es nicht. Von Mal zu Mal wuchs in ihr der Haß gegen Doro, wenn er kam und ein weiteres Kind von ihr verlangte. Isaak behandelte jedes ihrer Ki n der, als ob es sein eigenes wäre. Er zeigte niemals Bitte r keit oder Verärgerung, wenn sie aus Doros Bett zu ihm zurückkam. Und irgendwie bestärkte er sie im Durchhalten, wenn Doro erbost war über ihre stumme Unterwürfigkeit, wenn er ve r suchte, ihren Trotz zu brechen und ihren Sinn zu ä n dern. Es war seltsam: Obwohl sie selbst Doro mit der Zeit nicht einmal den kleinsten Fehler verzeihen konnte, empfand sie niemals einen Groll gegenüber Isaak, wenn er für die größten Vergehen Doros eine Entschuldigung fand. Die Bande zwischen Isaak und Doro waren zumindest so fest wie zwischen einem Vater und seinem Sohn. Wenn Isaak Doro nicht g e liebt hätte und Doro diese Liebe nicht auf seine We i se stark und innig erwidert hätte, Doro wäre Anya n wu als ein Unmensch erschienen.
Anyanwu vermied es, sich vorzustellen, wie ihr Leben ohne Isaak verlaufen wäre.
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