Wilde Saat
mehr über sie. Er würde sie nicht noch einmal zu seiner Sklavin machen. Und sie würde niemals seine Beute werden.
Buch III
Kanaan
1840
XI
Der alte Mann lebte in Avoyelles Parish im Staate Louisi a na schon seit vielen Jahren, so hatten die Nachbarn es Doro erzählt. Er besaß verheiratete Töchter, aber keine Söhne. Seine Frau war schon lange tot, und er wohnte a l lein auf der Plantage mit seinen Sklaven, von denen einige seine Kinder sein sollten. Er lebte sehr zurückgezogen. Nie, auch nicht zu Lebzeiten seiner Frau, hatte er sich um gesel l schaftliche Kontakte bemüht. Sie galten beide als eigen b rötlerisch.
Der Name des alten Mannes war Warrick, Edward Wa r rick. Innerhalb der letzten hundert Jahre war er das dritte menschliche Wesen, das Doros Aufmer k samkeit auf sich zog, denn Doro hatte das Gefühl, Anyanwu befinde sich in der Nähe.
Anyanwu.
Seit Jahren hatte er diesen Namen nicht mehr ausges p rochen. Von denen, die sie im Staate New York gekannt hatten, war niemand mehr am Leben. Ihre Kinder waren g e storben, und auch die Enkel, die vor Anyanwus Flucht zur Welt gekommen waren, lebten nicht mehr. Die Kriege hatten eine furchtbare Ernte unter ihnen gehalten. Der Unabhängigkeitskrieg. Der sinnlose Krieg von 1812. Viele von Doros Leuten starben, die anderen flohen nach Kan a da, da sie isoliert lebten und sich politisch nicht genügend eng a gierten. In den Augen der britischen Soldaten galten sie als Rebellen, und die Siedler hielten sie für ko n servativ. Die meisten verloren ihren ganzen Besitz, bevor sie nach K a nada flohen. Dort fand Doro sie Monate später mittellos und der Verzweiflung nahe. Er besaß jetzt eine kanadische Siedlung, so wie er auch ein wieder neuaufgebautes Whea t ley im Staate New York besaß. Seine Siedlungen lagen in Bras i lien, in Mexiko und Kentucky und an vielen anderen Orten der beiden großen, menschenleeren Kontine n te. Die besten seiner Leute lebten inzwischen in der Neuen Welt, wo Raum war, sich auszubreiten und ihre Kräfte zu entfa l ten – wo Raum war für ihre A n dersartigkeit.
Doch keine dieser Siedlungen war ein Ersatz für das b e inahe völlig zerstörte Wheatley und auch nicht für den Ve r lust seiner besten Familien in Maryland während des Kri e ges im Jahre 1812. Die Leute aus Maryland waren die A b kömmlinge der Bewohner jenes Dorfes, das einst von den Sklavenhändlern überfa l len und verwüstet worden war. Auf der Suche nach den Überlebenden war er Anyanwu begegnet. Er hatte die versklavten Dorfbewohner unter größten Schwierigkeiten von überallher wieder zusamme n geführt und nach Maryland gebracht. Hier begann er erneut mit seinen Paarungsversuchen, die sich im Laufe der Zeit als äußerst erfolgreich erwiesen. Doch dann hatte das Schicksal erneut zugeschlagen, und die Vielversprechen d sten unter ihnen waren getötet worden. Doro stand nun ein drittes Mal vor der No t wendigkeit des Neubeginns. Die wenigen Überlebenden brauchten frisches Blut. Sie brauc h ten Partner, die wenigstens über annähernd so gute Zuch t qualitäten verfügten wie sie selbst. Dies war mit gr o ßen Schwierigkeiten verbunden, denn diejenigen, die für ein solches Projekt in Frage kamen, waren We i ße. Zwischen Weißen und Schwarzen herrschten Ressentiments und Haß, und Doro sah sich gezwungen, zwei der größten Quertre i ber und Unruhestifter öffentlich zu töten, um die anderen wieder den G e horsam zu lehren.
So verging die Zeit. Es gab Jahre, in denen er Anyanwu beinahe vergaß. Er würde sie getötet h a ben, wenn sie ihm plötzlich über den Weg gelaufen wäre, aber so dachte er einfach nicht mehr an sie. Gewiß, er hatte Leuten, die g e flüchtet waren, verziehen. Leute, die intelligent und au s dauernd genug waren, sich seinem Zugriff tagelang zu en t ziehen und ihm auf diese Weise eine spannende Jagd e r möglichten. Doch er vergab ihnen nur, wenn sie sich ihm nach der Festnahme bedingungslos unterwarfen. Nicht, daß sie um ihr Leben winselten. Die wenig s ten taten das. Aber sie hörten einfach damit auf, sich ihm zu widersetzen. Zu guter Letzt waren sie doch zur Erkenntnis und Anerke n nung seiner Macht g e kommen. Zuerst hatten sie ihm das Vergnügen einer guten Jagd geschenkt, und nun schenkten sie ihm sich selbst. Sie schenkten ihm eine Art von Treue und sogar Freundschaft, wie er es normalerweise nur von den Besten seiner Kinder gewohnt war. Und irgendwie b e trachtete er sie nach der Vergebung auch als seine Kinder, denn wie
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