Wilde Saat
für eine Fam i lie mit fünf Töchtern. Ich erinnere mich, daß ich mit Den i ces Vaters zusammenstand und ihm alle möglichen Lügen über meine Familie und meine Herkunft auftischte, als Denke an uns vorbeikam. Sie berührte mich, verstehst du! Sie konnte in die Vergangenheit eines Menschen sehen, wenn sie ihn berührte. Obwohl die Berührung nur sehr flüchtig war, vermochte sie doch etwas von mir zu erke n nen, und sie wurde ohnmächtig. Ich ahnte nicht, was die Ursache für ihren Schwächeanfall war, bis sie mich einige Tage später aufsuchte. Ich war die einzige Person, der sie begegnet war, die noch fremdartiger war als sie selbst. Sie wußte alles über mich, noch bevor wir heirateten.«
»Weshalb hat sie dich geheiratet?«
»Ich glaubte ihr, als sie mir von ihren Fähigkeiten e r zählte. Ich hatte keine Furcht vor ihr, und ich lac h te sie nicht aus. Und außerdem fühlten wir uns schon nach kurzer Zeit z u einander hingezogen.«
»Und das, obwohl sie wußte, daß du eine Frau und eine Schwarze bist?«
»Ja.« Anyanwu schaute auf zu dem Bild der ernsten jungen Frau, und vor ihrem geistigen Auge stand die Eri n nerung an die wunderschöne und zugleich angstvolle Zeit ihrer Verlobung. Sie hatten sich beide vor einer Ehe gena u so gefürchtet wie vor einer Trennung. »Denice glaubte z u erst, daß wir keine Kinder haben würden, und das machte sie traurig. Sie wünschte sich nichts sehnlicher als viele Kinder. Dann bewies ich ihr, daß ich ihr wenigstens Töc h ter schenken konnte. Sie brauchte sehr lange, bis sie b e griff, wie groß meine Macht war und was ich alles damit vermochte. Am hartnäckigsten beharrte sie bei der Me i nung, daß die Mädchen, die sie zur Welt bringen würde, eine schwarze Hautfarbe haben könnten und daß die Leute dann glauben würden, sie habe sich mit einem Sklaven eingela s sen. Weiße Männer hinterlassen überall im Land ihre Mulatte n kinder. Aber ein weiße Frau, die das gleiche tut, gilt in den Augen der anderen Weißen fast als ein Tier.«
»Weiße Frauen benötigen Schutz«, sagte Doro, »ob sie es wollen oder nicht.«
»Ja, Schutz. So wie man seinen Besitz, sein Eigentum schützt!« Anyanwu schüttelte den Kopf. »Dem Gebrauch des Eigentümers vorbehalten. Denice sa g te, sie fühle sich wie eine Sache, wie ein Stück Land, das jemand anderem gehörte. Wie ein Sklave, der seine Flucht plane. Ich ve r suchte ihr klarzumachen, daß ich ihr Kinder schenken kö n ne, die – wenn sie es wünschte – überhaupt keine Ähnlic h keit mit mir haben würden. Ihre Befürchtungen und ihr Z ö gern verärgerten mich, obwohl ich mir der Tatsache b e wußt war, daß sie an den herrschenden gesellschaftlichen Verhäl t nissen keine Schuld hatte. Ich sagte ihr, daß meine Warrick-Gestalt nicht die Kopie eines bereits existierenden Menschen sei, doch wenn sie es wü n sche, könne ich die Gestalt eines Weißen annehmen, den ich einmal in Whea t ley behandelt hatte. In dem Fall würde ich Kinder zeugen, deren Erbgut – genauso wie bei den Delphinjungen – nichts, aber auch gar nichts von mir, meinem eigentlichen Wesen und meinem eigentlichen Körper enthielte. Sogar män n liche Nachkommen könnte ich ihr dann schenken. Es war zwecklos. Sie verstand nicht, wovon ich sprach.«
»Mir geht es nicht anders«, sagte Doro. »Das ist etwas vö l lig Neues.«
»Ja, aber eigentlich nur für mich. Du tust doch schon von Anfang an nichts anderes. Du zeugst oder gebierst doch ständig Kinder, die mit dir nicht blut s verwandt sind. Es sind die Kinder der Körper, die du trägst, obwohl du behauptest, es seien deine eig e nen.« »Aber … du trägst doch immer nur einen Kö r per.« »Und du hast noch immer nicht begriffen, wie vollkommen dieser eine Körper sich verä n dern läßt. Ich kann diesen Körper nicht verlassen, wie du das kannst, aber ich bin imstande, ihn zu verwandeln. Ich kann ihn so vollständig in den Körper eines anderen verwandeln, daß ich tatsächlich jede Verbindung, jede Verwandtschaft mit meinen Eltern verloren h a be. Ich selbst wundere mich am meisten über diese Eigenschaft. Ich b e greife nicht, daß ich so etwas zu tun vermag und mich d a bei dennoch nicht verliere, daß es mir immer wieder g e lingt, in meine wahre Gestalt zurückzukehren.« »Damals in Wheatley konntest du das noch nicht.« »Doch. Ich habe es schon immer getan. Jedesmal, wenn ich ein neues Tier kennenlernte und dessen Gestalt annahm. Aber es war mir nicht bewußt. Erst als ich auf der
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