Wilde Saat
würde.
»Stephen ist neunzehn«, sagte sie. »Er ist ein Mann. Deine und meine Kinder werden sehr schnell e r wachsen, glaube ich. Er ist ein Mann schon seit se i nem Übergang. Und doch ist er noch jung. Du machst ihn zum Tier, wenn du ihn b e nutzt, wie du Isaak benutzt hast.«
»Isaak war fünfzehn, als ich ihm die erste Frau gab«, e r klärte Doro.
»Aber da kanntest du ihn immerhin schon fünfzehn Ja h re.
Stephen kennst du erst seit einigen Stunden. Und vergiß nicht, er ist Wildsaat, genauso wie ich!«
Doro nickte zustimmend. »Es ist natürlich besser, wenn ich sie schon vor ihrem Übergang kenne – falls es übe r haupt zu einem Übergang kommt. Aber was hast du mir an seiner Stelle zu bieten, Anyanwu?«
Erstaunt wandte sie ihm das Gesicht zu. War er dabei, ihr einen Handel anzubieten? Nie zuvor hatte er das getan! Er hatte gesagt, was er von ihr wollte, und keinen Zweifel darüber gelassen, was mit ihr oder ihren Kindern gesch e hen würde, wenn sie nicht g e horchte. Was also war mit ihm? Wollte er wirklich auf eine Art Partnerschaft hinaus, oder spielte er nur mit ihr? Doch was konnte sie schon ve r lieren, wenn sie davon ausging, daß er seine Frage ernst meinte? »Gut, ich bin einverstanden. Bring Stephen die Frau.« Sie nickte. »Eine einzige, wenn er älter ist, mag es auch noch andere geben.«
»Bildest du dir etwa ein, im Augenblick habe er übe r haupt noch nichts mit Frauen?«
»Natürlich nicht. Aber es ist seine Entscheidung. Ich h a be sie ihm nicht aufgezwungen. Ich schicke ihm keine Frauen, damit er sie beschält.«
»Mögen die Frauen ihn?«
Sie mußte lächeln, was sie erstaunt zur Kenntnis nahm. »Manche schon. Vor allem eine Witwe, die ihm sehr zug e tan ist. Doch sie verhält sich klug und wartet ab. Wenn er sich die Hörner abgestoßen hat, wird er in ihr eine gute Ehefrau finden.«
»Vielleicht sollte man verhindern, daß dies zu rasch g e schieht.«
»Ich sagte es ja, du wirst ein Tier aus ihm machen!« erw i derte Anyanwu. »Hast du dir einmal die männlichen Sklaven in diesem Land angesehen, die man für die Kinderzucht ve r wendet? Man erlaubt ihnen nicht einmal, zu erl e ben, was es heißt, ein Mann zu sein. Man erlaubt ihnen nicht einmal, für ihre Kinder zu sorgen. Bei meinem Volk sind Kinder ein Reichtum. Kostbarer als Geld und alles sonst auf der Erde. Doch für diese Männer – ausgenutzt und ausg e beutet von ihren Herren bedeuten Kinder nichts. Sie brüsten sich nur vor anderen damit. Einer dünkt sich größer als der andere, weil er mit mehr Kindern aufwarten kann. Und sie prahlen mit der Zahl der Frauen, die sie geschwängert h a ben, ohne jemals auch nur etwas von dem zu tun, was Mä n ner für ihre Frauen und Väter für ihre Kinder tun. Und ihr Master, der die armen Geschöpfe verkauft und horrende Summen für sie erhält, lacht sich ins Fäus t chen und sagt: ›Da sieht man es. Nigger sind genauso wie Tiere!‹ Die Skl a verei hier in den Südstaaten öffnet einem die Augen, Doro. Wie könnte ich mir für me i nen Sohn ein so l ches Dasein wünschen!«
Doro schwieg. Er stand auf und wanderte in dem großen Raum umher. Er betrachtete die Möbel, Vasen und La m pen, und zuletzt fiel sein Blick auf das Bildnis einer schlanken, weißen Frau mit dunklen Haaren und ernstem Gesichtsausdruck. »War dies deine Frau?« fragte er.
Am liebsten hätte sie ihn geschüttelt, hätte ihre Stärke benutzt und ihn gezwungen, ihr Rede und Antwort zu st e hen. Was hatte er mit ihr vor? Mit ihr und ihren Kindern? Aber Anyanwu bezwang sich. »Ja«, flüsterte sie.
»Wie hat es dir gefallen, ein Mann zu sein und eine Frau zu haben?«
»Doro …«
»Wie es dir gefallen hat, will ich wissen.« Seine Stimme klang amüsiert.
»Sie war eine gute Frau. Wir mochten uns.«
»Wußte sie, was mit dir ist?«
»Ja. Sie war selbst nicht normal. Sie sah Geister.«
»Anyanwu«, sagte er voller Verachtung und A b scheu.
Sie überhörte den Ton in seiner Stimme und blickte zu dem Gemälde auf. »Sie war erst sechzehn, als ich sie heir a tete. Wenn ich sie nicht geheiratet hätte, wäre sie vermu t lich in einer Irrenanstalt gelandet. Die Leute redeten über sie in dem gleichen Ton, in dem du eben meinen Namen ausgesprochen hast: entrü s tet und verächtlich.«
»Ich kann ihnen das nicht zum Vorwurf machen.«
»Das solltest du aber. Viele Menschen glauben an ein Leben, das weitergeht, auch wenn ihr Leib g e storben ist. Und überall gibt es Geschichten von Geistern. Sogar Leute,
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