Wilde Saat
dieselbe Stimme sein?«
»Nein.«
»Aber wie …«
»Anyanwu …« Er drehte den Kopf und sah sie an. »Ich sagte dir, du wirst es wissen.«
Erschreckt schwieg sie. Sie glaubte ihm. Woran lag es, daß sie jedem seiner Worte Glauben schenkte?
Das Dorf, zu dem er sie führte, war ein kleiner Ort, der sich von den Flußsiedlungen, die sie aus ihrer Heimat kannte, kaum unterschied. Die Bewohner starrten sie und Doro neugierig an, aber niemand belästigte sie. Vereinzelte Stimmen drangen an ihr Ohr, und manchmal glaubte sie einen vertrauten Laut herauszuhören. Sie hatte das Gefühl, den Sinn der Worte zu verstehen, wenn sie den Spreche n den nur ein wenig näher wäre. Aber dann stellte sie fest, daß sie sich getäuscht hatte. Die Sprache war ihr fremd. Sie fühlte sich ausgestoßen, auf eine seltsame Weise hilflos zwischen den fremden Menschen.
Hastig beschleunigte sie ihre Schritte und hielt sich dicht hinter Doro.
Er führte sie zu einem Gehöft und in das Gehöft h i nein, als sei er der Besitzer. Ein hochgewachsener, schlanker junger Mann trat ihnen entgegen. Er sprach Doro an, und als Doro antwortete, weiteten sich die Augen des jungen Mannes, und er wich e i nen Schritt vor Doro zurück.
Doro fuhr fort, in der fremden Sprache mit ihm zu r e den, und Anyanwu machte die Entdeckung, daß sie einige der Worte verstand – allerdings nicht genug, um der Unte r ha l tung zu folgen. Diese Sprache hatte wenigstens eine gewisse Ähnlichkeit mit ihrer eig e nen und war nicht wie dieses Englisch, das Doro sie lehrte. Englisch sei eine der Spr a chen, die man in seiner Heimat spreche, hatte er ihr erklärt. Sie müsse es lernen. Anyanwu versuchte in den Gesichtern der beiden Männer zu lesen. Sie versuchte die Bede u tung der Worte aus dem Klang ihrer Stimmen zu erkennen. Es war offensichtlich, daß Doro anstelle einer freundlichen Begrüßung, die er erwartet hatte, bei dem jungen Mann auf Ablehnung stieß. Schlie ß lich wandte sich Doro verärgert ab. Er sprach zu Anyanwu.
»Der Mann, mit dem ich die Vereinbarung traf, ist tot«, berichtete er. »Dieser Narr hier ist sein Sohn.« Ein Huste n anfall ließ ihn verstummen. »Der Sohn war dabei, als ich mit seinem Vater redete. Er sah auch die Geschenke, die ich zurückließ. Doch nun, da sein Vater gestorben ist, fühlt er sich an keine Abmachung gebunden.«
»Ich glaube, er hat Angst vor dir«, sagte Anyanwu. Der junge Mann war großmäulig und anmaßend. Das konnte sie erkennen, obwohl sie seine Sprache kaum verstand. Er tat alles, um sich vor Doro aufzuspielen. Trotzdem bewegten seine Augen sich während des Sprechens unruhig und g e hetzt hin und her. Er brachte es nicht fertig, Doro für läng e re Zeit anzus e hen, und seine Hände zitterten.
»Er weiß, daß er mit dem Feuer spielt«, sagte Doro. »Aber er ist jung. Sein Vater war ein Stadtkönig, und nun glaubt der Sohn, mich benutzen zu können. Er will dem Volk imponieren und seine Eignung als Nachfolger d e monstrieren. Aber er hat sich ein u n geeignetes Instrument ausgesucht.«
»Hast du ihm neue Geschenke versprochen?«
»Ja. Aber er sieht nur, daß meine Hände leer sind. Geh aus meiner Nähe, Anyanwu. Meine Geduld ist zu Ende.«
Sie setzte an, um ihm zu widersprechen, doch ihr Mund war plötzlich wie ausgetrocknet. Stumm vor Entsetzen wich sie vor ihm zurück. Sie wußte nicht, was geschehen würde, aber sie war sicher, daß der junge Mann sein Leben verwirkt hatte. Doch wie würde er sterben? Was würde Doro ihm antun?
Doro schritt an dem jungen Mann vorbei auf einen kle i nen Jungen von etwa sieben Jahren zu, der dem Gespräch der Männer aufmerksam zugehört hatte. Bevor der junge Mann und das Kind wußten, was geschah, brach Doro z u sammen.
Sein Körper drohte das Kind unter sich zu begraben, doch es konnte rechtzeitig zur Seite springen. Es blickte sich um und ergriff Doros Buschmesser. Einige Leute li e fen hinzu, während das Kind sich au f richtete, mit beiden Händen auf das Buschmesser gestützt. Der Lärm und die aufgeregten Rufe der Herbeieilenden übertönten fast die Stimme des Kindes, als es sich an den jungen Mann wan d te. Fast.
Der Knabe sprach bedächtig und ohne Erregung in se i ner Muttersprache. Doch als Anyanwu seine Stimme hörte, glaubte sie aufschreien zu müssen. Das Kind war Doro. Daran bestand kein Zweifel. Doros Seele hatte von dem Körper des Kindes Besitz ergriffen. Und was war mit der Seele des Kindes g e schehen? Anyanwu trat auf den Körper zu, der am Boden
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