Wilde Saat
besagten nur, daß er jenen kleinen Teil ihres Ichs besaß, den sie für Männer reserviert hatte. Sie war keine Männer g e wohnt, die mehr beanspruchten. Obwohl sie aus einer Kultur stammte, in der Frauen buchstäblich als Besitz ihrer Männer galten, besaß sie Persönlichkeit. Und diese Persö n lichkeit hatte sie unabhängig gemacht, hatte bewirkt, daß sie sich immer als ihr eigener Herr fühlte. Sie schien noch nicht b e griffen zu haben, daß sie diese Unabhängigkeit aufgab, als sie ihr Haus und ihr Volk verließ, um mit ihm zu gehen.
»Wandern wir weiter!« sagte er.
Sie rührte sich nicht von der Stelle. »Du hast mir etwas zu sagen, Doro.«
Er ließ einen Seufzer hören. »Deine Kinder sind s i cher, Anyanwu. Im Augenblick.«
Sie wandte sich um und setzte sich wieder in Bew e gung. Doro folgte ihr. Das beste, dachte er, ich mache ihr so schnell wie möglich ein Kind. Ihre Una b hängigkeit würde ganz von selbst verschwinden. Sie würde tun, was er von ihr verlangte, aus Sorge um ihr Kind. Sie war zu wertvoll, um getötet zu werden. Und wenn er ihr eines ihrer Kinder wegnahm, würde es zweifellos zur Konfrontation zwischen ihnen kommen, in deren Verlauf er sie töten mußte. Doch wenn er sie in Amerika einmal von ihrer Vergange n heit isoliert und durch ein Kind an ihr neues Heim gebunden hatte, würde sie Gehorsam und Unterwü r figkeit lernen.
Die Wege wurden zusehends beschwerlicher, je weiter sie sich von den Gegenden entfernten, die Anyanwu b e kannt waren. Mehr und mehr waren sie gezwungen, die Busc h messer zu benutzen. Ströme und Flüsse bereiteten ihnen Schwierigkeiten. Sie schossen schäumend durch tiefe Fel s schluchten, die auf irgendeine Weise zu überqueren waren. Wo die Flüsse einen Fußpfad kreuzten, hatten die Einwo h ner oft Holzbrücken errichtet. Doch wenn Doro und Anyanwu weder Pfade noch Brücken fanden, mu ß ten sie sich selbst einen Weg bahnen und Bäume fällen, die sie als St e ge benutzten. Die Wanderung wurde immer langsamer und gefahrvoller. Ein Sturz würde keinen von ihnen getötet h a ben, doch Doro war sich bewußt, daß er bei einem Unfall gezwungen war, Anyanwus Körper zu nehmen. Sie war zu nahe bei ihm. Auf seinem Weg nach Norden hatte er me h rere Flüsse überquert, indem er seinen Körper einfach ve r ließ und sich auf dem gegenüberliegenden Ufer den Körper des erstbesten Mannes aneignete. Und da er mittlerweile selbst die Führung überno m men hatte – wobei er sich ganz von seinem Instinkt leiten ließ, der ihn zu seiner Man n schaft an Bord des Schiffes zog –, konnte er Anyanwu w e der vorau s schicken noch zulassen, daß sie zurückblieb. Und irgendwie wünschte er es auch nicht. Sie befanden sich in einem Land, dessen Bewohner Kriege füh r ten, um Sklaven zu erbeuten, die sie an die Weißen verkauften. Diese Leute würden Anyanwu umbri n gen, wenn sie damit begann, sich vor deren Augen in eine andere Gestalt zu verwandeln. Viele von ihnen waren sogar im Besitz von europäischen Feuerwa f fen und Schießpulver.
Ihr langsames Weiterkommen war dennoch keine völl i ge Zeitverschwendung. Es gab Doro die Möglichkeit, Anyanwu näher kennenzulernen. Er machte die Erfahrung, daß er in ihrer Begleitung keine Nahrung zu stehlen brauchte. Nachdem sie die beiden Jamsknollen geröstet und verzehrt hatten, fand Anyanwu überall etwas zu essen für sich und Doro. Es gab täglich genug Früchte, Nüsse, Wurzeln und andere eßbare Dinge. Sie warf Steine mit der Schne l ligkeit und der Gewalt einer Schleuder und erlegte auf diese Weise Vögel und kleine Tiere. Am Abend bere i tete sie stets ein schmackhaftes und reichliches Mahl. Wenn eine Pflanze ihr unbekannt war, stellte sie durch kundiges Betasten und konzentriertes Nachdenken fest, ob es sich um eine Gif t pflanze handelte oder nicht. Oft aß sie auch Früchte oder Kräuter, von denen sie wußte, daß sie giftig waren, ohne einen Schaden davonz u tragen. Doch ihm gab sie nie etwas anderes als gute, ungefährliche Na h rung. Er nahm alles, was sie ihm reichte, voller Ve r trauen in ihre Fähigkeiten. Und als sich eine winzige Schnittwu n de an seiner Hand entzündete und zu e i tern begann, gab sie ihm noch mehr Grund, ihm zu vertrauen.
Als Anyanwu die Wunde bemerkte, war die Hand b e reits stark angeschwollen, und Doro fühlte sich fiebrig und g e schwächt. Er befaßte sich schon mit dem Gedanken, wie er sich einen neuen Körper b e schaffen konnte, ohne sie zu gefährden. Doch zu se i ner Überraschung
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