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Wilde Saat

Wilde Saat

Titel: Wilde Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Octavia Butler
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beizulassen. Sie wollte hinter ihm sein, wenn er auf die Mä n ner zuging. Sie rechnete damit, daß es noch weitere Tote geben würde. Doch Doro sprach ein paar Worte zu ihnen, und sie gaben den Weg frei. Dann wandte Doro sich an die Menge. Einige Sätze genügten, und alle wichen z u rück. Doro nahm Anyanwu bei der Hand und zog sie zum Flu ß ufer, wo sie sich eines der Boote nahmen.
    »Du mußt rudern«, sagte sie zu ihm, während sie das Kanu zu Wasser ließen. »Ich werde versuchen, dir zu he l fen, s o bald man uns von diesem Platz aus nicht mehr sehen kann.«
    »Bist du noch nie mit einem Kanu gefahren?«
    »Doch, aber es ist einige Zeit her. Vielleicht dreimal so lange, wie der Körper, den du jetzt besitzt, alt ist.«
    Er nickte und tauchte das Ruder ein.
    »Du hättest das Kind nicht töten sollen«, sagte sie tra u rig. »Es war Unrecht, gleichgültig, aus welchem Grund es g e schah.«
    »Auch deine eigenen Leute töten Kinder.«
    »Nur die, die getötet werden müssen – die Mißg e burten. Und sogar bei ihnen … Manchmal, wenn es nur ein kleiner Makel war, konnte ich das Töten ve r hindern. Ich sprach dann mit der Stimme der Gottheit. Und wenn ich die Übe r lieferungen nicht zu sehr verletzte, hörten die Leute auf mich.«
    »Kinder zu töten, ist eine sinnlose Verschwendung«, gab er zu. »Wer weiß schon, wie brauchbar sie vielleicht als Erwachsene sein würden. Und doch ist es manchmal unumgänglich, ein Kind zu opfern.«
    Anyanwu dachte an ihre Söhne und deren Kinder, und sie wußte nun, wie gut sie daran getan hatte, Doro von i h nen fernzuhalten. Doro hätte nicht gezögert, einige von ihnen zu töten, um andere einzuschüchtern. Ihre Nac h kommen waren im allgemeinen recht gut in der Lage, auf sich selbst aufzupassen, doch niemand hätte Doro davon abhalten können, sie zu töten, um ihre Körper auf diese schmaro t zerhafte Weise zum Weiterleben zu benutzen. Wer konnte einem solchen Wesen, einem Dämon, Einhalt gebi e ten. Er war ein Dämon, gleichgültig, was er sagte! Er besaß keinen eigenen Körper!
    Nicht das erste Mal in den dreihundert Jahren ihres L e bens wünschte Anyanwu, daß sie Götter hätte, zu denen sie beten könnte. Götter, die ihr Hilfe gewährten. Aber sie ha t te nur sich selbst – sich und den Zauber, mit dem sie ihre Gestalt verändern konnte. Doch was konnte ihr das helfen einem Wesen geg e nüber, das die Fähigkeit besaß, ihr den Körper zu rauben? Und was würde er empfinden, wenn er den Entschluß gefaßt hatte, sie zu »opfern«? Ein Gefühl der Verstimmung? Bedauern? Sie blickte ihn an und sah mit Erstaunen, daß er lächelte.
    Tief zog er die Luft ein und stieß sie mit offensichtl i chem Wohlbehagen wieder aus. »Fürs erste brauchst du nicht zu rudern«, erklärte er. »Ruhe dich aus. Dieser Kö r per ist g e sund und stark. Es tut gut, nicht ständig husten zu müssen.«

III
    Nach einem Körperwechsel war Doro stets guten Mutes – besonders dann, wenn mehrere Wechsel dicht aufeina n der erfolgt waren oder wenn er in einen der Körper g e schlüpft war, die er zu diesem Zweck eigens gezüchtet hatte. Die s mal dauerte sein Wohlbefinden an, bis sie die Küste e r reichten. Er bemerkte, daß Anyanwu sehr still war; aber sie hatte immer einmal ihre stillen Zeiten. Vor allem hatte sie Dinge erlebt, die neu für sie waren. Doro wußte, die Leute brauchten Zeit, um sich an seine Wechsel zu gewö h nen. Nur seine Kinder schienen die Veränderungen als e t was Selbstverständliches hinzunehmen. Er war bereit, Anyanwu alle Zeit einzuräumen, die sie brauchte, um sich auf ihn einzustellen.
    An der Küste gab es Sklavenhändler. Ein englischer Handelsvertreter, Angestellter der Royal African Company und gleichzeitig Doros Mann, lebte dort. Bernard Daly war sein Name. Er besaß drei schwarze Frauen, mehrere M i schlingskinder und ganz offenkundig eine ausgezeichnete Wide r standskraft gegenüber zahlreichen einheimischen Krankheiten. A u ßerdem hatte er nur eine Hand. Die andere hatte D o ro ihm Jahre zuvor abgeschlagen.
    Daly beaufsichtigte das Bränden neuer Sklaven, als D o ro und Anyanwu das Boot auf den Strand zogen. Ein G e ruch von verbranntem Fleisch lag in der Luft, und die Schme r zensschreie eines jungen Sklaven waren zu hören.
    »Doro, das ist ein Höllenort«, flüsterte Anyanwu. Sie hielt sich dicht in seiner Nähe.
    »Niemand wird dir etwas tun«, sagte er. Tagsüber hatte sie immer noch das Aussehen eines kleinen, kraftvollen Ma n nes. Dennoch sah

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