Wilde Saat
nicht damit einverstanden ist, sich dagegen au f lehnt?«
Isaak bedachte sie mit einem langen, ernsten Blick. »Wildsaat-Leute widersetzen sich ihm ab und zu«, antwo r tete er leise, »aber er ist immer der Stärkere. Immer.«
Anyanwu schwieg. Sie brauchte nicht daran erinnert zu werden, wie gefährlich und rücksichtslos Doro sein konnte. Irgendwie lebte sie in ständiger Furcht vor ihm. Mit we l cher Sorge dachte sie manchmal an die Zukunft. An die eigene und die ihrer Kinder, d e ren Freiheit sie mit ihrer Unterwerfung und einem Leben der Knechtschaft erkauft hatte. Wie gern hätte sie all das vergessen. Wie gern wäre sie all dem en t flohen.
»Manchmal laufen Leute auch fort«, sagte Isaak, als lese er ihre Gedanken. »Aber er fängt sie immer wieder ein, und meistens trägt er bei der Rückkehr ihre Körper, damit die anderen es sehen und gewarnt sind. Der einzig sichere Weg, vor ihm zu fliehen und ihn um die Genugtuung zu bringen, deinen Körper zu tragen, ist – glaube ich – der Weg, den meine Mutter gewählt hat.« Er machte eine Pa u se. Dann sprach er weiter. »Sie erhängte sich.«
Anyanwu sah ihn fassungslos an. Er hatte die Worte o h ne die Spur einer Gemütsbewegung gesprochen, als ob ihn das Schicksal der Mutter genauso kalt lasse wie das seines Bruders Lale. Und er hatte ihr e r zählt, er könne sich nicht daran erinnern, daß es j e mals eine Zeit gegeben habe, in der er und Lale sich nicht gehaßt hätten.
»Deine Mutter starb wegen Doro?« fragte sie und sah ihn forschend an.
Er zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht wirklich. Ich war damals erst vier. Ich nehme es nur an. Sie war wie L a le, sie besaß dessen Fähigkeit, Gedanken zu übertragen und zu empfangen. Aber sie war be s ser darin als er, besonders im Empfangen. Von Wheatley aus hörte sie manchmal Menschen in New York über eine Entfernung von hunder t fünfzig Meilen hi n weg.« Er blickte Anyanwu an. »Eine riesige Entfe r nung! Eine verdammt riesige Entfernung für solche Dinge! Sie hörte alles; alles, was sie wollte. Aber oft war es ihr nicht möglich, dem ein Ende zu machen. Ich erinnere mich, daß sie mir Furcht ei n flößte. Sie kroch dann in irgendeine Ecke, hielt sich die Ohren zu oder kratzte sich den Kopf blutig. Und sie schrie und schrie und schrie.« Er schüttelte sich. »Das ist alles, woran ich mich erinnere, wenn ich an sie de n ke.«
Anyanwu legte eine Hand auf seinen Arm. Eine Geste des Mitleids für ihn und seine Mutter. Wie kann er aus e i ner solchen Familie stammen und selbst g e sund geblieben sein, fragte sie sich. Was tat Doro seinem Volk, seinen e i genen Kindern an in dem Versuch, mehr aus ihnen zu m a chen, als er aus den Kindern seines eigenen zu früh verl o renen Kö r pers hätte machen können. Wie viele waren wie Isaak, und wie viele waren wie Lale und dessen Mutter!
»Isaak, hat es denn nie etwas Schönes in deinem L e ben gegeben?« fragte sie leise.
Er blinzelte. »Eine ganze Menge. Es gab Doro, die Pfl e geeltern, die er für mich fand, als ich noch klein war, die Se e reisen, diese letzte jetzt.« Er lächelte. »Lange Zeit hatte ich die Sorge, ich könnte verrückt werden wie meine Mu t ter oder tollwütig wie Lale. Doch Doro konnte mich immer beruhigen.«
»Wie konnte er das?«
»Er benutzte einen anderen Körper, als er mich zeu g te. Er wollte mich mit einer anderen Fähigkeit au s statten. Und manchmal weiß er ziemlich genau, welche Familie er m i teinander kreuzen muß, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen.«
Sie nickte. »Ich hätte nicht den Wunsch gehabt, dich n ä her kennenzulernen, wenn du so wärst wie dein Bruder.«
Er schaute auf sie nieder in dieser durchdringenden, b e unruhigenden Art, die er sich schon während der Reise a n gewöhnt hatte, und sie nahm die Hand von seinem Arm. Kein Sohn sollte die Frau seines Vaters auf diese Weise a n schauen! Wie unklug von Doro, noch keine Frau für ihn ausgesucht zu haben. Isaak sollte heiraten und damit b e ginnen, gelbhaarige Sö h ne in die Welt zu setzen. Er sollte seine eigene Farm bearbeiten. Wozu waren diese Fahrten kreuz und quer über die Weltmeere gut? Was nützte es ihm, daß er von überallher Sklaven nach Amerika brachte und dabei ein wohlhabender Mann wurde, wenn er keine Kinder besaß!
Trotz des schwachen Windes nahm die Fahrt den Fluß h i nauf nach Wheatley nur fünf Tage in Anspruch. Die ho l ländischen Flußschiffskapitäne und ihre Besatzungen aus holländisch sprechenden schwarzen Sklaven
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