Wilde Saat
schwierig zwar, aber wert, daß man sich Zeit für sie nahm, daß man ihnen etwas mehr Milde und Geduld widmete, als anderen wen i ger wertvollen Leuten. Sarah würde ein gutes Abendessen zubereiten, und nachdem sie gespeist hatten, würde Doro mit Anyanwu reden, allein, vor dem warmen, gemütlich prasselnden Kaminfeuer. Er würde alles in seinen Kräften Stehende tun, damit sie gehorchte und er sie nicht zu töten brauchte.
Er dachte über sie nach, während er sich dem Haus n ä herte, in dem sie auf ihn wartete. Soeben hatte er Okoye und Udenkwo bei einem Ehepaar mittleren Alters unte r gebracht. Die beiden waren Landsleute der Jungvermählten und würden ihnen in der neuen Umgebung eine große Hilfe sein. Doro ging lan g sam, erwiderte den Gruß der Leute, die ihn in seinem derzeitigen Körper erkannten, und ärgerte sich über das stolze Benehmen eines Holzfällers. Die Me n schen saßen vor ihren Häusern, Männer und Frauen in ho l ländischer Kleidung, und plauderten miteinander. Die Frauen hatten irgendeine Näharbeit in den Händen, und die Männer rauchten ihre Pfeife. Isaak erhob sich von einer Bank, auf der er bei einer ält e ren Frau gesessen hatte, und schloß sich Doro an.
»Anneke steht kurz vor ihrem Übergang«, sagte der Junge besorgt. »Mrs. Walmans sagte, daß sie eine schli m me Zeit durchmacht.«
»Das war zu erwarten«, antwortete Doro. Anneke Str y cker war eine seiner Töchter – eine von den A n lagen her gute Tochter. Mit etwas Glück würde sie einen hervorr a genden Ersatz für Lale abgeben, falls ihr Übergang erfol g reich verlief und ihre Fähigkeiten sich in der richtigen We i se weiterentwickelten. Sie lebte nun bei ihrer Pfleg e mutter Margaret Walmans, einer großen, robusten, unkomplizie r ten Frau Anfang Fünfzig. Zweifellos würde die Frau ihre sämtlichen körperlichen und seelischen Kräfte benöt i gen, um mit dem jungen Mädchen in seiner augenblickl i chen Lage zurec h tzukommen.
Isaak räusperte sich. »Mrs. Walmans hat Angst, A n neke könnte sich … etwas antun. Sie spricht dauernd davon, daß sie sterben möchte.«
Doro nickte. Übersinnliche Kräfte dieser Art wurden geboren, wie ein Kind geboren wurde – unter Geburtsw e hen. Leute im Übergang waren anfällig für jeden Geda n ken, jede Empfindung, jede Lust und jede Qual, die andere Menschen beschäftigte. Ihr Gehirn war zum Bersten gefüllt mit einem unerträ g lichen, nicht enden wollenden Lärm. Es gab keine Ruhe für sie, keinen Schlaf – die Ängste und Wah n vorstellungen der ganzen Menschheit schienen sich bei ihnen eingenistet zu haben. Manche von Doros besten Leuten – zu viele von ihnen – fanden in di e sem Stadium den Tod. Sie waren zwar noch in der Lage, ihre Veranl a gung ihren Kindern weiterzugeben – falls sie alt genug wurden, um überhaupt Ki n der zu haben –, aber sie kamen selbst niemals in den Genuß ihrer vollentfalteten Fähigke i ten. Sie gelangten nicht dahin, sie kontrollieren und beher r schen zu können. Doro benutzte sie als eine Art von Wir t stieren oder als Fortpflanzer. Er verschaffte ihnen Par t ner aus einem seiner weitentfernten Zuch t dörfer, weil er damit bereits einige ganz überraschende Erfolge erzielt hatte. L a le entstammte zum Beispiel einer solchen Verbindung. Nur nach sor g fältigsten Vorbereitungen und mit ungewöhnlich viel Glück gelang Doro ein einziges Mal ein Kind wie Isaak. Doro sah den Jungen liebevoll an. »Morgen früh werde ich als erstes nach Anneke schauen«, ve r sprach er ihm.
»Das ist gut«, rief Isaak erleichtert. »Das wird ihr b e stimmt helfen. Mrs. Williams sagte, daß sie manchmal nach dir schreit, wenn die bösen Geister sie überfallen.« Er stockte. »Wie schlimm wird es noch bei ihr werden?«
»So schlimm wie es bei dir und Lale war.«
»Mein Gott!« stieß Isaak hervor. »Sie ist doch nur ein Mädchen! Sie wird daran sterben!«
»Sie hat die gleiche Chance wie du und Lale.«
Isaak blickte Doro zornig an. »Dich kümmert es nicht, was mit ihr geschieht, nicht wahr? Es läßt dich kalt! Übe r lebt sie es nicht und stirbt, was macht es schon. Da sind ja g e nügend andere, die an ihre Stelle treten!«
Doro wandte den Kopf und sah ihn an. Isaak senkte den Blick.
»Hier draußen magst du dich wie ein Kind gebärden«, sagte Doro. »Aber drinnen im Haus benimmst du dich wie ein erwachsener Mann! Heute Abend werde ich die Dinge zwischen dir und Anyanwu r e geln.«
»Regeln? Hast du dich endlich entschlossen, sie mir zu
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