Wilde Saat
war. Sie glich darin eher den anderen Frauen, schwarzen und weißen, die sie in der Stadt gesehen hatte. Und das war von großer Wichtigkeit. Durch ihre zahlreichen Ehen hatte sie an den verschiedensten Orten gelebt und wußte, wie wichtig es war, die Lebensgewoh n heiten anderer Menschen zu kennen. Was in der einen Stadt üblich und selbstverständlich war, galt in der näc h sten als lächerlich und unpassend. Unwi s senheit konnte kostspielig und gefährlich sein.
»Wie soll ich Sie nennen?« fragte sie die weiße Frau. Doro hatte ihr den Namen der Frau zwar gesagt, als er sie eina n der vorstellte, aber es war sehr rasch und beiläufig geschehen, und danach war er davongeeilt zu seinen G e schäften. Anyanwu erinnerte sich an den Namen Sarah C utler – aber sie war nicht sicher, ob sie ihn richtig au s sprechen würde, ohne ihn noch einmal gehört zu haben.
»Sarah Cutler«, erwiderte die Frau sehr deutlich. »Mrs. Cutler.«
Anyanwu krauste verwirrt die Stirn. »Mrs. Cutler?« fragte sie.
»Ja. Du hast es richtig ausgesprochen.«
»Ich gebe mir Mühe.« Anyanwu zuckte die Schultern. »Ich werde es mir merken.«
»Wie spricht man deinen Namen aus?«
»Anyanwu«, sagte sie langsam, dennoch fragte die Frau:
»Ist das ein einziger Name?«
»Ja, nur einer. Ich hatte auch andere Namen, aber Anyanwu ist der beste. Ich kam immer wieder auf ihn z u rück.«
»Sind die anderen kürzer?«
»Mbgafo. Das ist der Name, den meine Mutter mir gab. Einmal wurde ich Atagbusi genannt. Es war ein Ehrenn a me, den man mir verlieh. Man hat mich auch schon …«
»Laß es gut sein!« Die Frau seufzte und Anyanwu l ä chelte. Sie hatte Isaak fünf ihrer früheren Namen genannt, bevor er abwinkte und meinte, Anyanwu gefalle ihm am besten.
»Kann ich Ihnen ein wenig helfen?« fragte sie.
»Nein, das ist nicht nötig«, sagte die Frau. »Schau mir nur zu, wie ich es mache. Du wirst es noch früh genug tun müssen.« Sie sah Anyanwu neugierig an. Es war kein au f dringliches Anstarren, es waren eher jene kurzen, zaghaften Blicke, die eine gewisse U n sicherheit und etwas Neugier verraten. Anyanwu kam der Gedanke, daß sie beide ve r mutlich eine A n zahl gleichlautender Fragen auf den Lippen hatten.
»Warum nennt Doro dich ›Sonnenfrau‹?« wollte Sarah Cutler wissen.
Doro hatte sie einmal spontan so in Englisch angeredet und nannte sie seitdem öfter mit diesem Namen, obwohl er nach Isaaks Meinung sehr indianisch klang.
»Das Wort für meinen Namen ist in Ihrer Sprache ›So n ne‹. Doro wollte mir einen englischen Namen aussuchen, aber ich war nicht damit einverstanden. Nun spricht er meinen Namen englisch aus.«
Die weiße Frau schüttelte den Kopf und lachte. »Du hast mehr Glück, als du ahnst. Du mußt einen Stein bei ihm im Brett haben. Ich bin erstaunt, daß du nicht schon längst J a ne oder Alice heißt.«
Anyanwu zuckte die Achseln. »Er hat seinen Namen nicht geändert. Warum sollte er es mit meinem tun!«
Die Frau warf ihr einen mitleidigen Blick zu und schwieg.
»Was ist Cutler?« fragte Anyanwu.
»Was es heißt?«
»Ja.«
»Ein Cutler ist ein Messerschmied. Ich nehme an, daß die Vorfahren meines Mannes Messerschmiede waren. Hier, probiere das mal!« Sie reichte Anyanwu einen Bissen von etwas, das sehr süß, sehr ölig und mit verschiedenen Früchten gefüllt war. Es hatte e i nen köstlichen Geschmack und zerging ihr auf der Zunge.
»Es ist vorzüglich«, sagte Anyanwu. Noch nie zuvor hatte sie etwas Derartiges gegessen. Sie wußte nicht, was sie dazu sagen sollte, außer dieser Höflichkeitsfloskel, die D o ro sie gelehrt hatte. »Danke sehr. Wie nennen Sie diese Speise?«
Die Frau lächelte geschmeichelt. »Es ist eine Art K u chen. Ich habe ihn gebacken – eigens zu Isaaks und Doros Rüc k kehr.«
»Sie sagten …« Anyanwu überlegte einen Augenblick. »Sie sagten, die Leute Ihres Mannes seien Messerschmiede gewesen. Ist sein Name Cutler?«
»Ja. Hier bei uns nimmt eine Frau nach der Hochzeit den Namen ihres Mannes an. Ich hieß Sarah Whea t ley, bevor ich geheiratet habe.«
»Dann ist Sarah der Name, den Sie behalten haben?«
»Ja.«
»Soll ich Sie Sarah nennen?«
Die Frau sah Anyanwu von der Seite her an. »Soll ich dich Mbgafo nennen?« Sie entstellte den Namen graue n voll.
»Wenn Sie es möchten. Aber es gibt unzählige Mbgafos. Der Name nennt nur den Tag, an dem ich geboren wurde.«
»So wie – Montag oder Dienstag?«
»Ja. Ihr habt sieben Tage in der Woche, wir nur vier:
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