Wilde Saat
Eke, Oye, Afo, Nkwo. Die Menschen werden oft nach i h rem Geburtstag benannt.«
»Dann muß es in deinem Land von Menschen wi m meln, die den gleichen Namen tragen.«
Anyanwu nickte. »Aber viele haben daneben auch noch andere Namen.«
»Ich glaube, Anyanwu ist wirklich besser.«
»Ja.« Anyanwu lächelte. »Auch Sarah ist gut. Eine Frau sollte etwas haben, das ihr ganz allein gehört.«
In diesem Augenblick betrat Doro das Haus, und Anyanwu bemerkte, wie das Gesicht der Frau zu strahlen begann. Sie hatte auch vorher keinen traurigen oder u n freun d lichen Eindruck gemacht, doch nun wirkte sie wie ein junges Mädchen. Sie blickte Doro aus verzückten A u gen an und meldete ihm, daß das E s sen fertig sei. In ihrer Stimme lag eine Wärme, die vorher trotz aller Freundlic h keit darin g e fehlt hatte. Zu irgendeiner Zeit mußte diese Frau seine Ehegattin oder seine Geliebte gewesen sein. Vermu t lich seine Geliebte. Immer noch bestand zwischen ihnen ein Gefühl der Zuneigung, wie Anyanwu u n trüglich spürte, obwohl die Frau nicht mehr jung war. Wo mochte ihr Gatte sein? Wie war es möglich, daß eine Frau für einen Mann kochte, der weder ein leiblicher noch ein angeheir a teter Verwandter von ihr war, während ihr Gatte wah r scheinlich vor einem der Häuser saß und blauen Rauch in die Luft blies?
Aber dann kam auch der Ehemann der Frau. In seiner Begleitung waren zwei Söhne und die sehr junge und au f fallend scheue Gattin eines dieser Söhne. Das Mädchen war schlank und biegsam, sie besaß eine olivfarbene Haut, schwarzes Haar und große dunkle Augen. Sogar nach Anyanwus Vorstellung war sie außergewöhnlich schön. Als Doro sich mit ausg e suchter Höflichkeit an sie wandte und eine Unterha l tung mit ihr begann, antwortete sie ihm nur mit e i nem Bewegen ihrer Lippen. Sie wagte es nicht, ihn anzuschauen – mit einer Ausnahme, als er ihr einmal den Rücken zukehrte. Der Blick, den sie ihm schenkte, sprach die gleiche Sprache wie das Strahlen auf Sarah Cu t lers G e sicht. Anyanwu blinzelte und fragte sich, was für einen Mann sie hatte. Die Frauen auf dem Schiff hatten Doro nicht so begehrenswert gefunden. Sie hatten ihn g e fürchtet. Aber die Frauen seines Volkes … War er der Hahn unter ihnen, der von einer Henne zur anderen ging? Letzten E n des konnten sie nicht alle mit ihm verwandt oder befreundet sein. Sie waren Menschen, die ihm Treue g e schworen hatten, oder Menschen, die er als Sklaven g e kauft hatte. In irgendeinem Sinn waren sie mehr sein E i gentum als sein Volk. Die Männer lachten und sprachen mit ihm, aber ni e mand nahm sich so viel heraus wie Isaak. Sie begegneten ihm voller Ehrerbietung. Und wenn ihre Frauen, Schwestern oder Töchter Doro schöne Augen machten, taten sie so, als bemerkten sie es nicht.
Anyanwu hatte den starken Verdacht, daß sie es auch übe r sahen, wenn Doro die Blicke der Frauen erwiderte und wenn er mehr tat als nur das. Vielleicht fühlten sie sich s o gar geehrt. Wer wußte schon, welche seltsamen Wege di e se Menschen gingen!
Doch nun wandte Doro seine Aufmerksamkeit Anyanwu zu. Sie empfand ein Gefühl der Verlegenheit in seiner G e genwart. Die Umstände waren so ung e wohnt und neu für sie. Männer und Frauen aßen gemeinsam diese fremdart i gen Speisen und unterhielten sich in einer Sprache, die Anyanwu nur bruchstückhaft beherrschte. Doro ermutigte sie zum Spr e chen, unterhielt sich mit ihr über alltägliche, belan g lose Dinge.
»Vermißt du die süßen Kartoffeln? Unsere sind nicht ganz so wie diejenigen, die du kennst.«
»Das spielt keine Rolle.« Ihre Stimme klang wie die des jungen Mädchens. Auch sie, Anyanwu, bewegte fast lau t los die Lippen. Sie war gehemmt vor all di e sen Fremden. Dabei hatte sie früher schon immer vor Fremden gespr o chen. Alle möglichen Menschen waren zu ihr gekommen, hatten sie um Arzneien und um Heilung gebeten. Welches Vertrauen konnten sie in jemanden setzen, der mit flüster n der Stimme zu ihnen sprach und verlegen den Blick dabei gesenkt hielt.
Entschlossen hob sie den Kopf und hörte damit auf, a n gestrengt auf ihren Teller zu starren. Sie vermißte die Yamswurzeln. Sogar diese schmackhafte Suppe konnte es nicht verhindern, daß sie sich nach dem heißgeliebten Brei aus gestampften Süßkartoffeln sehnte. Doch das war nicht so wichtig. Beherzt schaute sie in die Runde, begegnete dem Blick Sarah Cutlers, dann dem eines ihrer Söhne. Sie las darin nur Freundlichkeit und Neugierde. Der junge Mann, dünn
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